Ein Sixpack zum Verlieben (German Edition)
Klingel, da nichts beleuchtet ist. Glücklicherweise lässt sich das Tor öffnen, und wie eine Katze schleicht sie sich durch den Vorgarten, dem einzigen hellen Punkt im Haus folgend. Und endlich entdeckt sie Sven durch die Fensterscheibe in einem Sessel am Kamin, in dem ein Feuer brennt und den Raum in ein warmes Licht taucht.
Lauras Schmetterlinge werden abrupt aus dem Schlaf gerissen und formieren sich zum Freudentanz. Ihr Herz schlägt so stark, dass es Sven drinnen hören müsste. Gerade als sie an die Scheibe klopfen will, betritt eine Frau das Zimmer mit zwei gefüllten Gläsern in der Hand. Sie dürfte etwa in Svens Alter sein, ist hochgewachsen und ihr brünetter Kurzhaarschnitt verleiht ihr ein burschikoses Äußeres. Jetzt reicht sie Sven ein Glas und schenkt ihm ein charmantes Lächeln, um dann in einem Sessel neben ihm Platz zu nehmen. Sie prosten sich zu und wirken vertraut miteinander.
Laura spürt den Boden unter sich öffnen und den freien Fall ins Nirgendwo. Sven hat längst eine neue Liebe. Wieso hat Frieder nichts davon gesagt? Die Brüder haben doch angeblich keine Geheimnisse voreinander. Oder hat Frieder sie bewusst ins Messer laufen lassen als Rache dafür, dass Sven wegen ihr die Sixpackboys verlassen hat? Tausend Gedanken vermögen Laura in diesem Moment keine Antwort zu geben. Sie zittert plötzlich am ganzen Körper und ihr Magen rebelliert. Auf keinen Fall will sie sich vor Svens Haustür übergeben müssen und damit womöglich auf diese unangemessene Weise seine Aufmerksamkeit erregen. Mit einem Würgen im Hals schafft sie es im letzten Moment, den Umschlag mit der Post vor die Haustür zu legen und sich zu einem entfernten Busch zu schleppen, um ihren Magen zu entleeren.
Völlig erschöpft lässt sich die Gebeutelte eine Weile auf dem Boden nieder, unfähig, einen vernünftigen Plan zu entwickeln, was sie jetzt tun soll. Heute wird ganz sicher kein Zug mehr zurück aufs Festland gehen. Im alten Golf hätte sie wenigstens übernachten können, wenn auch die herbstlichen Temperaturen nicht dazu einladen, aber in ihm befindet sich immer eine Decke für eventuelle Notfälle. Es hilft ihr nicht weiter, das Auto herbeizusehnen, sie muss sich nach einer Bleibe umschauen. Es herrscht Nebensaison, und die Insel wird nicht wie im Sommer ausgebucht sein. Das Navi gibt Auskunft, dass die Pension Sanddüne zwei Straßen weiter rechts liegt. Erneut startet sie die Harley und folgt den Anweisungen der Stimme.
Mittlerweile ist es bereits nach zehn Uhr, und zu Lauras Entsetzen findet sie die Tür der Pension verschlossen vor, aber hinter den vorgezogenen Vorhängen schimmert Licht durch. Soll sie es wagen zu klingeln, obwohl vielleicht schon Winterpause herrscht und zurzeit keine Zimmer vermietet werden? Laura wirft ihre Skrupel über Bord, denn sie ist zu erschöpft, um eine Zimmer-Such-Rallye durch Westerland zu veranstalten.
Es dauert eine Weile, bis sich auf ihr Klingeln im Inneren des Hauses etwas regt. Endlich öffnet sich die Tür, und eine ältere Dame mit einem warmen Tuch um die Schultern lächelt sie erwartungsvoll an.
„Kann ich etwas für Sie tun?“
„Ich ..., ich brauche ein Zimmer für diese Nacht! Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber ich kenne mich hier im Ort nicht aus und habe vorher nichts buchen können.“
Die Frau mustert den späten Gast von oben bis unten, und ihr bleibt der desolate Zustand der Motorradfahrerin nicht verborgen, denn mit Menschen und deren Bedürfnissen kennt sich die Pensionsbesitzerin aus. Deshalb bringt sie es nicht übers Herz, Laura die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
„Für uns ist die Saison beendet, aber kommen Sie doch erst einmal herein. Ich glaube, Sie können etwas Warmes zu trinken gebrauchen.“
Laura lässt sich nicht zweimal bitten, legt ihren Helm im Flur ab und folgt ihrer möglichen Retterin in die Küche, wo ein Feuer im Ofen wohlige Wärme spendet. Wie eine fürsorgliche Mutter drückt Frau Stromeyer ihre späte Besucherin auf den Stuhl, der dem Kamin am nächsten steht, und reicht ihr gleich darauf einen Becher Tee. „Trinken Sie in Ruhe und dann erzählen Sie mir, wieso Sie keine Unterkunft haben und woher Sie kommen.“
Laura wärmt ihre zitternden Hände an dem heißen Becher und nimmt kleine Schlucke. Sie hat berechtigte Sorge, dass ihr Magen sonst erneut rebellieren wird.
„Vielen Dank, dass Sie mich eingelassen haben. Ich wollte einen Bekannten überraschen und habe mich nicht bei ihm angekündigt, was
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