Ein skandaloeser Kuss
die Lippen, als habe sein Sohn ihm einen Aufenthalt in der Jauchegrube vorgeschlagen. Doch dann wehte aus der offen stehenden Küchentür der unwiderstehliche Duft von frisch gebackenem Brot herüber.
„Na schön“, lenkte er ein, „aber beeil dich, Junge. Deine Mutter ist krank vor Sorge.“
Bromwell konnte es sich lebhaft vorstellen. Vermutlich lag sie auf ihrer Chaiselongue, und ihre Zofe wich ihr nicht von der Seite. Unhörbar seufzend folgte er seinem Vater zum Haus.
Sie gingen die Stufen zum Eingang hinauf, als der Earl mit einem Mal Lady Eleanors ansichtig wurde. Er blieb wie angewurzelt stehen. „Wer ist denn dieses bezaubernde Geschöpf?“, erkundigte er sich mit Stentorstimme.
Der Himmel mochte ihm beistehen. Bromwell schob sich an seinem Vater vorbei, um die Vorstellungsprozedur zu übernehmen, doch ehe er noch entschieden hatte, ob er ihren Titel erwähnen sollte, ergriff Lady Eleanor selbst das Wort.
„Ich bin Lady Eleanor Springford.“ Sie neigte anmutig den Kopf. „Ihr Sohn hat mir das Leben gerettet.“
Bromwell war hin- und hergerissen zwischen dem Drang zu beteuern, dass der Unfall nicht halb so dramatisch gewesen war, und dem Bedürfnis, anbetend vor ihr niederzuknien.
Der Earl warf sich in die Brust und stützte eine Hand auf die Hüfte. „Nichts weniger würde ich von meinem Sohn erwarten.“
„Für den armen Kutscher erwies Ihre Ladyschaft sich als wahrer Segen.“ Wie aus dem Nichts erschien die Wirtsfrau im Eingang und baute sich wie ein höchst weltlicher und etwas zu drall geratener Schutzengel hinter Lady Eleanor auf. „Lord Bromwell und sie geben ein ausgesprochen hübsches Paar ab, nicht wahr?“
Bromwell drohte das Herz stehen zu bleiben. Was in drei Teufels Namen veranlasste Mrs Jenkins zu dieser Äußerung? Und ausgerechnet seinem Vater gegenüber! Mehr Schaden hätte sie höchstens noch dann anrichten können, hätte sie die Bemerkung in Gegenwart seiner Mutter gemacht.
„In der Tat.“ Mit arrogantem Blick maß sein Vater Lady Eleanor von Kopf bis Fuß. Sie hielt der Prüfung erstaunlich gleichmütig stand.
„Vielleicht sollten wir besser hineingehen“, schlug sie gelassen vor.
„Unbedingt, Mylady“, pflichtete der Earl ihr bei. „Regle die Sache mit der Rechnung. In der Zwischenzeit nehmen Lady Eleanor und ich eine Erfrischung zu uns. Kommen Sie, Madam.“
Sein Vater schob Lady Eleanor umstandslos in den Schankraum, rief nach Wein und ließ Bromwell im Windfang stehen, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
Bromwell folgte den beiden. Bei dem Gedanken daran, was sein Vater in seiner Abwesenheit über ihn äußern könnte, wurde ihm heiß und kalt. Er beeilte sich, die Rechnung für sein Zimmer und das Lady Eleanors zu begleichen.
Dass Mrs Jenkins kein Wort darüber verlor, kam ihm komisch vor, doch er war zu aufgewühlt, um der Tatsache große Bedeutung beizumessen. Wahrscheinlich dachte sie, dass er sich nur wie ein Ehrenmann verhielt.
Dann ging er zu dem Tisch beim Kamin, an dem sein Vater und Lady Eleanor saßen. Der Earl hatte offenbar nur zwei Gläser Wein bestellt und sein Glas bereits geleert.
„Da bist du ja, Bromwell!“, rief er, als sei sein Sohn von weither angereist und nicht ein paar Schritte quer durch den Raum gekommen. „Wusstest du, dass Lady Eleanor die Tochter des Duke of Wymerton ist? Und wusstest du, dass Wymerton und ich Schulkameraden sind? Die Welt ist klein, sage ich dir.“
Nein, gewusst hatte er es nicht, aber er hätte es sich denken können. Sein Vater war auf einer Schule gewesen, die etwa achtzig Prozent des ton für ihre Söhne wählten. Was der Grund dafür sein mochte, dass so viele Aristokraten bedauerlich ungebildet waren außer in den alten Sprachen. Und selbst in denen hatten die meisten nur Grundkenntnisse.
„Oh tatsächlich?“, rief Lady Eleanor aus. „Davon hat der Duke nie etwas erwähnt.“
Das zu hören missfiel seinem Vater, doch wenigstens beschuldigte er Lady Eleanor nicht, zu lügen. „Was führt Sie um diese Zeit des Jahres nach Bath, Mylady?“, erkundigte er sich stattdessen.
„Ich will meinen Patenonkel besuchen, Lord Ruttles.“
„Ganz gewiss nicht.“
Lady Eleanor zuckte zusammen.
„Ruttles ist momentan auf Birkhuhnjagd in Schottland und frühestens in vier Wochen zurück“, erläuterte der Earl weiter.
Bromwell furchte die Stirn. Leider stand zu erwarten, dass die Information stimmte. Seine Mutter unterhielt einen ausgedehnten Briefwechsel und war über das Kommen und
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