Ein skandaloeser Kuss
als mit einer Wespe.“
Von dem dankbaren Blick, mit dem Lord Bromwell ihre Parteinahme quittierte, fühlte sie sich über die Maßen belohnt.
Lord Granshires Miene ließ Bewunderung erkennen. „Sie mögen Spinnen, Lady Eleanor?“
Sie schätzte sich glücklich, Lord Bromwell den Rücken gestärkt zu haben, doch was die kaum verhüllte Hoffnung anging, die sie in den Augen seines Vaters entdeckte, so tat sie wohl gut daran, sie im Keim zu ersticken.
„Nicht so sehr wie Ihr Sohn, Mylord“, erwiderte sie mit einem nichtssagenden Lächeln, „aber ich nehme an, so wird es den meisten Leuten gehen.“
„Da haben Sie recht“, antwortete der Earl, als wäre Lord Bromwell nicht anwesend. „Als Junge konnte er stundenlang zusehen, wie sie ihre Netze spannen. Seine Mutter und ich hatten Angst, dass er sich die Augen verdirbt.“
„Eine unbegründete Sorge offenbar.“
„Und dann riskiert er auch noch sein Leben bei der Sucherei nach diesem Ungezief… nach Spinnen in aller Welt.“
„Es ist wichtig, die Natur zu erforschen, Vater.“ Lord Bromwells Ton war anzumerken, dass ihm die Geduld ausging. „Auch das habe ich bereits an anderer Stelle erwähnt, und ich …“
Der Earl machte eine wegwerfende Handbewegung. „Gegen Forschung habe ich ja gar nichts. Ich sage nur, du sollst sie anderen überlassen.“
Lord Bromwell verzog das Gesicht. „Vielleicht sollten wir die Diskussion später fortsetzen, Vater. Wenn wir unter uns sind.“
Abermals sprach der Earl mehr zu Nell gewandt als zu seinem Sohn. „Zweifellos will er mir wieder Geld für seine nächste Expedition aus den Rippen leiern. Wir werden versuchen müssen, ihn zum Hierbleiben zu überreden, nicht wahr, meine Liebe?“
Als ob das in meiner Macht läge.
Zumal sie Lord Bromwells Wunsch, so weit wie möglich fortzusegeln, gut verstehen konnte, nachdem sie nun seinen Vater kennengelernt hatte.
„Warum erzählst du Lady Eleanor nicht von der Grotte?“
„Oh, ja, die Grotte!“, rief der Earl aus. „Der letzte Schrei, wissen Sie. Sehr reizvoll und ländlich. Ich habe sogar einen Eremiten engagiert, Sie müssen ihn sich unbedingt ansehen. Spielt Panflöte, der Kerl, und macht einen Höllenlärm, wirkt aber ungemein malerisch.“
Nell blickte unter halb gesenkten Lidern hervor zu Lord Bromwell. Er sah nach draußen wie ein Gefangener, der durch die Gitterstäbe seines Kerkerfensters in den Himmel schaut. Voller Sehnsucht nach Freiheit.
„Ich nehme an, Lord Bromwell, es gibt auch Spinnen in der Grotte?“
Die Andeutung eines Lächelns lag auf seinen Zügen, als er ihr den Kopf zuwandte. „Um genau zu sein …“
„Halte uns keine Vorlesungen, mein Junge“, schnitt der Earl ihm das Wort ab, während die Kutsche von der Landstraße in eine beeindruckend lange Auffahrt einbog. „Wir sind hier nicht bei der Royal Society. Lady Eleanor, gleich werden Sie etwas zu sehen bekommen, über das zu reden sich wirklich lohnt.“
Lord Bromwell war nicht der Einzige in der Kutsche, dem der Geduldsfaden zu reißen drohte. „Aber ganz London spricht über das Buch Ihres Sohnes, Mylord.“
Statt stolz oder geschmeichelt auszusehen, machte Lord Granshire eine finstere Miene. „Jedenfalls über gewisse Teile. Haben Sie es gelesen?“
„Bedauerlicherweise nicht.“
„Lassen Sie es besser. Warum Bromwell diesen Unsinn über die Wilden …“
„Diese Wilden sind in einiger Hinsicht zivilisierter und menschlicher als manch sogenannter Gentleman, den ich kenne“, unterbrach ihn der Viscount barsch – was ihm jedoch umgehend zu Bewusstsein zu kommen schien. „Vergeben Sie mir, Lady Eleanor, aber ich habe diese igno… diese Herabsetzung der eingeborenen Völker so oft gehört, ich muss dagegen einschreiten. Manche ihrer Gebräuche mögen wir nicht verstehen, aber umgekehrt ist es genau dasselbe. Nehmen wir zum Beispiel das Taschentuch. Sie können nicht verstehen, was sinnvoll sein sollte am Sammeln von …“
„Bromwell, sei so gut und erwähne in gemischter Gesellschaft keine Körperfunktionen!“, befahl sein Vater.
„Ich wollte nur aufzeigen …“
„Das spielt jetzt keine Rolle“, beendete der Earl das Thema und wandte sich mit einer alles umfassenden Handbewegung an Nell. „Da, sehen Sie. Granshire Hall.“
Nell blickte aus dem Fenster. In einer weiten Kurve mündete die Auffahrt vor einem eindrucksvollen Herrenhaus aus grauem Sandstein, das mit seinen drei Stockwerken und den zahlreichen hohen Fenstern dem allerneuesten
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