Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
nahmen, ansonsten so produzierten. Leo war sich beim Anblick ihrer Aquarelle nie sicher, ob man nun Menschen oder Tiere sah.
Er lehnte sich gegen die Hauswand und schaute Susanna zu. Sie war jetzt ganz bei der Sache, dozierte über Schatten und Schattierungen und dass sie zuerst nur mit Bleistift arbeiten würden. Ihre Stimme klang selbstbewusst und energisch, aber nie belehrend und überheblich. Er spürte deutlich ihre Liebe zu dieser Materie. Ihre Begeisterung und die Freude darüber, die anderen in den nächsten Tagen auf eine künstlerische Reise mitzunehmen.
Ihre Worte fielen scheinbar auf fruchtbaren Boden, denn die jungen Mädchen lauschten gebannt und betrachteten Susanna plötzlich mit anderen Augen, sahen in ihr nicht länger den weltfremden Blaustrumpf. Und besonders Lady Caroline wirkte erfreut, dass ihr Vorschlag mit dem Malunterricht so gut aufgenommen wurde. Als alle sich an ihren Staffeleien zu schaffen machten, holte Susanna ihre Brille hervor und ging von einer zur anderen, um die Arbeiten zu überwachen, gab hier einen Rat, lobte dort und ermunterte ihre Schülerinnen, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen.
Leo verspürte ein merkwürdiges Unbehagen. Für gewöhnlich lernte er die jungen Damen anders kennen. Er flirtete mit ihnen, plauderte mit ihnen über Mode und Gesellschaften, über den neusten Klatsch und Tratsch. Über belanglose Dinge eben, nie darüber, was sie dachten und ob sie spezielle Interessen hatten. Denn bislang wollte er so etwas gar nicht wissen. Erst bei Susanna war das anders geworden.
Leo wandte sich ab und ging davon.
Den Rest des Tages verbrachte Susanna in unbeschwerter, glücklicher Stimmung. Sie genoss es, dass die anderen jungen Damen, mit denen sie sonst kaum etwas gemeinsam hatte, an ihren Lippen hingen, sie bewunderten, sie um Rat fragten. Und obwohl ihr normalerweise die Meinung anderer nicht wichtig war, fühlte es sich irgendwie gut an, plötzlich einmal im Mittelpunkt zu stehen. Vielleicht würde dieser neue Respekt ihr gegenüber ja auch ihr Bild bei der Männerwelt ändern.
Leo Wade ging ihr allerdings bis zum Abendessen aus dem Weg. Weil es am späten Nachmittag bei hohen Temperaturen angefangen hatte zu regnen und Fenster und Türen geschlossen blieben, war es stickig und feuchtschwül im Salon, sodass die Damen ausgiebigen Gebrauch von ihren Fächern machten und mehr als einer der Gentlemen seinen Kragen eine Spur lockerte.
Normalerweise hätte Susanna etwas abseits von den anderen gesessen und ein Buch gelesen, weil sie das belanglose Geplapper der anderen nicht interessierte und sie nichts dazu beisteuern konnte. Nicht so heute. Susanna sprang über ihren Schatten und nahm allen Mut zusammen, um sich unter die Gesellschaft zu mischen. Die männlichen Gäste wohlgemerkt, denn sie hatte ihrem Bruder schließlich ein Versprechen gegeben.
Als Erstes steuerte sie auf Mr Evans zu, dessen Augen ganz groß wurden vor Überraschung. So kannte er ja Susanna gar nicht, und es schien ihr, als würde er angesichts ihres Verhaltens ein Lächeln unterdrücken. »Guten Abend, Mr Evans. Ich habe mich bei meiner Ankunft so gefreut, Sie ebenfalls hier zu sehen. Auf Madingley Court finden wir nie die Muße, uns einmal richtig zu unterhalten.« Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Leo Wade, der gerade eine Runde durch den Salon drehte, sie selbst dann nicht aus den Augen ließ, wenn andere das Wort an ihn richteten.
»Ja, ich habe für gesellschaftliche Anlässe nicht mehr so viel Zeit wie früher«, erklärte Mr Evans. »Meine Ländereien beanspruchen inzwischen den größten Teil meiner Aufmerksamkeit.«
Sie fragte sich, ob er wohl das Gefühl hatte, in eine peinliche Situation geraten zu sein. Er hatte nämlich kurze Zeit, als ihr Bruder Matthew in Indien verschollen war und als tot galt, der vermeintlichen Witwe Emily den Hof gemacht.
»Sie sind sehr engagiert, Mr Evans«, erwiderte sie und fand, dass Engagement ein lobenswerter Charakterzug bei einem Mann sei. Leider verebbte das Gespräch sehr schnell. Was nun? Sie hasste es, aus lauter Verlegenheit über das Wetter zu reden, aber es würde ihr kaum etwas anderes übrig bleiben, wenn ihr nichts Besseres einfiel. Sie überlegte krampfhaft, zumal Mr Wade sich köstlich über sie zu amüsieren schien.
Sie kehrte ihm den Rücken zu. »Was wird eigentlich auf Ihren Feldern angebaut?«
Evans schien erleichtert, sich in aller Ausführlichkeit über Getreide und die Auswirkungen von Trockenperioden auslassen zu
Weitere Kostenlose Bücher