Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
an.
»O Marie, wieso sitzt du denn hier?
»Ich stand gerade in der Nähe des Salons und sah sie herauskommen«, erklärte das Mädchen. »Und dieser gut aussehende Mr Wade ging Ihnen hinterher.«
Susanna stellte laut klappernd den Halter mit der Kerze ab. »Wir haben uns vom Wintergarten aus den Sturm angeschaut.«
Marie grinste, während sie sich eine widerspenstige Locke aus den Augen strich. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich so direkt bin, aber wenn Sie sich nicht besser zurechtmachen, wird nie etwas Aufregendes passieren.«
»Wie bitte?«
Die Zofe zog die Schranktüren auf. »Wir können Ihnen natürlich keine neuen Kleider kaufen, aber die hier lassen sich aufhübschen. Lady Caroline hat ein ganzes Zimmer voller Bänder und Spitzen. Und wir müssen die Ausschnitte vergrößern! Hat Ihre Mutter etwa darauf bestanden, dass Sie bis zum Hals zugeknöpft herumlaufen?«
Susanna unterdrückte einen Lachanfall. Na, das entwickelte sich ja zur seltsamsten Nacht ihres Lebens. »Ich … ich dachte, ein tieferer Ausschnitt würde nach … Torschlusspanik aussehen.«
Und dann brach doch das Lachen aus ihr heraus, und sie ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. »O Marie, vielleicht brauche ich wirklich deine Hilfe.«
»Ich bin froh, dass Sie nicht lange gebraucht haben, um das zuzugeben, Miss. Ich biete so etwas nicht vielen an, aber ich glaube, Sie könnten etwas Besonderes sein.«
Konnte sie das? Die Erinnerung an Leo Wades absolutes Selbstvertrauen weckten Zweifel daran. Er dachte, sie sei leicht herumzubekommen – wie eine alte Jungfer eben, die seinem routinierten Charme erlag. Wie dem auch sei, einen Versuch war es wert, auf den Vorschlag der Zofe einzugehen.
»Also gut, Marie. Zeig mir, was du im Sinn hast, doch lass mich eines klarstellen. Nichts davon tue ich wegen Mr Wade.«
Marie sah sie etwas skeptisch an. »Klar, Miss.«
Kapitel 4
Leo war erleichtert, als sich das Kartenspiel bis tief in die Nacht hineinzog. Manchmal hatte er Probleme mit dem Einschlafen, und da war es besser, erst gar nicht zu früh schlafen zu gehen. Sonst suchten ihn bloß düstere, wirre Träume heim. Er konnte sich nie daran erinnern, fühlte sich am nächsten Morgen immer nur wie zerschlagen, müde und durcheinander. Deshalb tat er alles, damit er todmüde ins Bett fiel und fest und traumlos schlief.
Da weder Evans noch Keane vorher je gegen ihn gespielt hatten, konnte er ihnen schnell die Taschen leeren. Und ihnen im gleichen Atemzug eine Revanche für den nächsten Abend anbieten. Es lief stets nach dem gleichen Schema ab. Trotz seines Rufes als gerissener Kartenspieler glaubten neue Gegner immer, bei ihnen würde das nicht funktionieren. Und wenn sie doch verloren, hofften sie auf das nächste Mal. Dann würden sie es ihm schon zeigen …
Er grinste, als er sich auf sein Zimmer zurückzog. Der Kammerdiener des Hauses hatte bereits die Badewanne gefüllt, und sobald er bis zum Hals im dampfenden Wasser saß, ließ er die Gedanken schweifen. Er dachte an seinen Bruder Simon, der ihm vor langer Zeit das Kartenspielen beigebracht hatte. Sie waren beide fest davon überzeugt gewesen, dass die Streitereien zwischen ihren Eltern aufhören würden, wenn sie ihren Vater mit etwas ablenkten, und da war Simon auf die Idee mit den Karten gekommen. Es war bloß der Anfang gewesen. Simon, Leo und die Schwester Georgina mussten sich ständig neue Ablenkungen ausdenken: Spiele, Theateraufführungen und Musikdarbietungen, doch nichts davon brachte auf lange Sicht den gewünschten Erfolg.
Und jetzt war Simon blind und konnte nicht mehr Karten spielen, dachte Leo, und sein Lächeln verschwand. Vor einem Jahr hatte er hilflos neben dem Bett seines Bruders gesessen – völlig verzweifelt, weil keine Medizin gegen die schrecklichen Kopfschmerzen helfen wollte, unter denen der Bruder nach einem schweren Reitunfall litt. Und am Ende erblindete er.
Aber Simon hatte sein Leben mutig wieder in die Hand genommen und sogar vor Kurzem geheiratet. Obwohl die Brüder einander sehr liebten, waren sie unterschiedlich wie Tag und Nacht. Der eine ein Vorzeigesohn und der andere ein schwarzes Schaf. Das war nicht immer leicht für Leo gewesen. Sein ganzes Leben lang hatte er Simon nachzueifern versucht, um wie der Bruder den Erwartungen der anderen gerecht zu werden, und es doch nie geschafft. An der Zuneigung für Simon hatte das allerdings nie etwas geändert, und er neidete ihm auch nie den Titel und den Besitz, den er nach des Vaters
Weitere Kostenlose Bücher