Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
können. Und Susanna war froh, fürs Erste nur zuhören zu müssen. Irgendwann versiegte sein Redefluss. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sich erkundigen würde, was sie denn so machte, doch die Frage blieb aus. Stattdessen warf er einen geistesabwesenden Blick auf seine Taschenuhr.
Susanna fühlte sich deprimiert. Sie langweilte ihn. Er wollte gar nichts von ihr und über sie wissen. Sie schaute hinüber zu Mr Wade, der auf einem Sofa saß, die Arme auf der Rückenlehne ausgestreckt und flankiert von Lady Mary Greenwich und Victoria Randolph, sodass es so aussah, als habe er die beiden unter seine Fittiche genommen. Und wirklich schienen die jungen Damen ihn anzuhimmeln, was den Elternpaaren ganz und gar nicht zu gefallen schien, wenn sie deren Blicke richtig deutete.
Vor ihr stand immer noch Mr Evans und zupfte an seiner Krawatte. »Es ist ein bisschen warm heute Abend«, meinte Susanna und verfluchte sich gleichzeitig, weil sie nun doch über das Wetter sprach. »Aber Ihre Felder werden den Regen bestimmt mögen.«
»Ja.«
Vielleicht meinte er ja, alles über sie zu wissen. Jeder Mann schien das zu denken, weshalb sich auch niemand mit ihr unterhielt. Alle hatten sich ihre Meinung über sie gebildet: Sie war anders, benahm sich arrogant, hielt sich als Einzige für klug und machte sich nichts aus Klatsch und Tratsch. Lange Zeit war ihr das sehr recht gewesen. Bis ihr Bruder sie darauf hingewiesen hatte, dass sie irgendwann ein Außenseiterdasein führen werde, wenn sie bei ihrer Weigerung blieb, sich zu verheiraten.
»Mögen Sie Kinder, Mr Evans?« Die Worte sprudelten einfach so aus ihr heraus und klangen irgendwie sehnsüchtig und verzweifelt.
Er räusperte sich. »Natürlich.«
Sie lächelte nervös. »Ich auch.«
Wenigstens war er so höflich, nicht sofort die Flucht zu ergreifen, aber kurz darauf entschuldigte er sich mit dem Hinweis, dass er sehr früh schlafen zu gehen pflege, wie auf dem Land eben üblich. Und die ganze Zeit saß dieser Mr Wade einfach da, beobachtete sie und zog jetzt eine Augenbraue hoch.
Sie fand, dass sie sich genug blamiert hatte, bedankte sich bei ihrer Gastgeberin für den schönen Abend, nahm von einem Lakaien, der im Flur stand, eine Kerze entgegen und machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer.
Als sie die Haupthalle erreichte, konnte sie immer noch den Wind hören und den Regen, der gegen die Fenster prasselte. Außerdem war sie nicht müde. Statt also eine der gewundenen Zwillingstreppen nach oben zu steigen, wandte sie sich dem langen Gang zum hinteren Teil des Hauses zu. Ganz am Ende ging es in den großen, zwei Stockwerke hohen Wintergarten, der sich über die ganze Breite des Herrenhauses erstreckte. Von kugelförmigen Lampen beleuchtete Wege führten vorbei an Büschen und Blütensträuchern und Bäumen, deren Wipfel in der Nacht zu verschwinden schienen. Träumerisch wandelte sie durch die feuchte, tropische Luft, während der Regen an den Scheiben herunterrann. Was dahinterlag, konnte sie nicht erkennen.
»Mögen Sie es, wenn es so stürmt?«
Sie wirbelte herum und hätte dabei fast ihre Kerze fallen gelassen. Vor ihr stand Leo Wade. Seine dunkle Kleidung ließ ihn fast mit der Umgebung verschmelzen, nur Haare und Gesicht leuchteten golden im Schein der Laternen. Sein wie immer amüsierter Blick musterte sie eingehend.
»Es ist unhöflich, sich an eine Frau anzuschleichen«, tadelte sie ihn und versuchte zu verbergen, dass ihr Herz seinetwegen schneller pochte.
»Ich habe mich nicht angeschlichen, denn beim Gehen konnte ich sogar das Knirschen des Kieses unter meinen Sohlen vernehmen.«
»Nun, ich habe bloß den Sturm gehört. Und falls jemand gesehen hat, dass Sie mir gefolgt sind?«
»Hat aber keiner.«
»Ich bin ohne Begleitung. Da ist es nicht schicklich, wenn Sie ebenfalls hier sind.« Susanna ertappte sich dabei, dass sie ihren Worten selbst nicht glaubte. Richtig war: Sie fand die Situation aufregend und irgendwie prickelnd.
»Andere junge Mädchen haben bei solchen gesellschaftlichen Veranstaltungen weibliche Verwandte dabei, die ein Auge auf sie haben. Sie nicht.«
»Das ist der Unterschied zu mir – ich bin kein junges Mädchen mehr. Ich bin viel zu vernünftig …«
»Und gehören zum alten Eisen?«, unterbrach er sie.
»… als dass bei mir so strenge Regeln nötig wären«, führte sie ihren Satz zu Ende und versuchte dabei nicht zu lächeln. »Es sind genug verheiratete und verwitwete Damen anwesend, um den nötigen Anstand zu
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