Ein Sohn für den Scheich
hier vorgetragen wurden, habe ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen”, begann er betont verbindlich. “Zu meinem Bedauern kann ich mich jedoch den wenigsten anschließen, vor allem nicht dem, dass Hassan sich zwischen seinem Land und seiner europäischen Ehefrau entscheiden muss. Schließlich bin ich selbst mit einer Europäerin verheiratetet, und dass mein Land darunter gelitten habe, wird niemand von Ihnen behaupten wollen.”
Einzelne Lacher bestärkten ihn in der Überzeugung, dass er sich die richtige Taktik zurechtgelegt hatte. “Vor allem jedoch leuchtet mir nicht ein, warum sich der Herrscher eines modernen Staates an Regeln halten soll, die aus dem Mittelalter stammen”, fuhr er deshalb provozierend fort.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. “Bei aller Fortschrittlichkeit dürfen wir unsere Traditionen nicht vergessen”, wandte Abdul vehement ein. “Und die wichtigste ist nun einmal, dass die Macht in einem arabischen Land nur von einem Mann ausgeübt werden darf, in dessen Adern reinstes arabisches Blut fließt.”
Das war nicht nur ein Angriff auf Hassan, sondern mehr noch auf Raschid und dessen Sohn, der eines Tages als sein Nachfolger den Thron besteigen sollte. Deshalb zögerte Raschid mit einer Antwort so lange, bis er sich davon vergewissert hatte, dass keiner der Anwesenden es wagte, offen für Abdul Partei zu ergreifen.
“Daran hättest du
vor
Hassans Heirat denken müssen”, erwiderte er endlich. “Die liegt allerdings sechs Jahre zurück. Damals hat niemand Einwände erhoben, und ich frage mich, was euch nun das Recht dazu gibt.”
“Versteh mich bitte nicht falsch, Raschid”, mischte sich Jibril Al-Mahmud ein, um die drohende Eskalation zu verhindern. “Die Situation ist leider etwas komplizierter, denn dass Leona Europäerin ist, ist weder das einzige noch das gravierendste Problem. Es tut mir Leid, es so deutlich sagen zu müssen, Hassan”, wandte er sich an ihren Gastgeber, “aber Sorgen macht uns vor allem, dass sie offenbar keine Kinder bekommen kann.”
“Das stimmt zwar nicht, aber trotzdem würde mich interessieren, welche Schlüsse du daraus ziehst”, erwiderte Hassan beherrscht.
Seine Gelassenheit hatte Jibril so verunsichert, dass er sich lieber wieder an Raschid wandte. “Weder in deinem noch in unserem Land ist es etwas Besonderes, wenn ein Mann mit mehreren Frauen verheiratet ist”, erklärte er ihm umständlich. “Manchmal wird es sogar von ihm erwartet, etwa dann, wenn der Fortbestand der Familie bedroht ist. Genau dieser Fall ist nun eingetreten, und wir bitten Hassan lediglich, eine zweite Frau zu heiraten, um die Erbfolge auch für die kommende Generation sicherzustellen.”
“Wie denkst du darüber, Hassan?”, erkundigte sich Raschid.
“Ich bin mit Leona verheiratet”, erwiderte er bestimmt, “und andere Frauen interessieren mich nicht. Damit dürfte jede weitere Diskussion überflüssig sein.”
“Und wenn das Schicksal euch einen Sohn weiterhin verweigert?”
“Dann besteigt eben ein anderer als ich den Thron”, antwortete er gleichgültig. “Ich verstehe nicht, wo das Problem ist.”
“Dann will ich es dir erklären”, kündigte Abdul aufgebracht an. “Das Problem ist, dass dein Verhalten allem widerspricht, was uns heilig ist. Es geht hier nicht darum, was du willst, sondern um deine Pflicht, und die verlangt es, dass du dich dem Namen Al-Qadim würdig erweist, indem du ihn auf deine Kinder und Kindeskinder überträgst, wie es dein Vater und dessen Vater …”
“Wenn ihr mir das nicht zutraut, verzichte ich hiermit auf meinen Anspruch auf die Thronfolge.” Hassan stand auf. “Ich bin sicher, dass ihr euch schnell auf einen anderen Kandidaten einigt. Meine Anwesenheit ist dafür gewiss nicht erforderlich.”
“Einen Moment, Hassan”, sagte Raschid, als Hassan bereits die Tür erreicht hatte. “Bevor du gehst, würde ich gern das eine oder andere etwas genauer wissen.”
Hassan kehrte zu seinem Stuhl zurück und nahm betont widerwillig Platz. Insgeheim beglückwünschte er sich jedoch dazu, dass das Zusammenspiel zwischen Raschid und ihm besser klappte, als er zu hoffen gewagt hatte.
“Wie wir alle wissen, sind unsere Länder nicht nur Nachbarn, sondern auch seit Generationen befreundet”, erklärte Raschid bedeutungsschwer und sah besorgt in die Runde. “Da Rahman, anders als Behran, keinen Zugang zum Meer hat, führen die Pipelines, durch die euer Öl an die Küste gelangt, über mein
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