Ein Sommer und ein Tag
wäre. Peter macht es offensichtlich nichts aus, dass wir zu den paar wenigen gehören, die in der Stadt bleiben. Er versucht, diese dreitägige Ruhepause, diese drei Tage erzwungener Zweisamkeit, in ein fröhliches Abenteuer zu verwandeln. «Wir könnten unsere CD-Sammlung durchgehen, unser eigenes Privatkonzert veranstalten», schlug er gestern Abend vor. «Lichter aus und Stereoanlage an. Eine Pink-Floyd-Laser-Show in unserem Wohnzimmer veranstalten.» Ich war ihm dankbar für seine Mühe, auch wenn ich den Verweis nicht verstand, die Band sagte mir nichts.
«Hey, komm doch zu mir auf die Couch», sage ich jetzt zu ihm, schalte meinen iPod aus und lege ihn auf den Tisch. Ich saß heute eine gefühlte Ewigkeit hier rum, versunken in die Musik, ganz im Augenblick. Und obwohl diese neue Taktik nichts weiter von mir verlangt, als einfach nur zu sein – einatmen, ausatmen, das Leben durch mich hindurchziehen lassen –, macht die Musik mich unruhig. Sie verleitet mich dazu, wieder nach der Vergangenheit zu suchen, die Distanz zwischen Vergangenheit und Erinnerung zu überbrücken. Die Augenblicke wiederzufinden, als ich diese Texte zum ersten Mal hörte, als ich die Melodien zum ersten Mal in mich aufnahm, der festen Überzeugung, sie würden auf die ein oder andere Weise mein Leben verändern.
Wie zum Beispiel damals, als Peter und ich an unserem vierten Date, einem schwülheißen Juliabend, einen Ausflug an den Jones Beach gemacht haben, um die Counting Crows zu hören. Es war der Abend, erzählte er mir, an dem er wusste, dass er sich in mich verliebt hatte, weil ich den Text von «A Murder of One» auswendig konnte. Tja, vielleicht war ich damals auch schon in ihn verliebt. Vielleicht war ich so sehr in ihn verliebt, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte – nicht an die Arbeit oder die Kunst, nicht an meinen Vater oder den ganzen anderen Mist. Es war leicht, sich diese Dinge vorzustellen, wenn einem niemand sagen konnte, ob es wirklich so gewesen ist oder eben nicht.
Peter greift sich eine Handvoll Cookie-Crisp-Müsli aus der offenen Dose auf der Anrichte, wirft sich ein paar Krümel in den Mund und lässt sich kauend neben mich auf das scheußliche goldene Sofa sinken. Die Bierflasche stellt er auf einer Zeitschrift auf dem Beistelltisch ab.
«Und?», fragt er. «Wie war dein Tag?»
«Langweilig. Zu langsam vergangen. Zu schnell vergangen. Alles gleichzeitig. Immer dasselbe, jeden Tag aufs Neue. Wenn ich nächste Woche endlich hier raus darf, und ich kann dir gar nicht sagen, wie wenig ich es erwarten kann, hier rauszukommen – wenn ich zurück in der Welt der Lebenden bin, kaufe ich mir als Allererstes eine neue Garderobe. Und gleich danach eine neue Couch.»
«Das mit der Couch verstehe ich. Aber was ist an deiner Garderobe verkehrt?»
«Zu langweilig. Zu beige.» Alles so fürchterlich neutral! Wo ist das Rot , das mein Fabelhaftes Ich tragen sollte?
«Und du fängst bald wieder in der Galerie an», sagt er und vertilgt die restlichen Müslikrümel. «Dann ist Schluss mit der Monotonie.»
Ich nicke in der Hoffnung, dass er recht hat, gleichzeitig bezweifle ich es. Aber ich beschließe, im Augenblick zu leben! , und deshalb lächle ich ihn an und unterdrücke das Bedürfnis, Es ist nicht nur die Monotonie, du Idiot! , zu fauchen, Es liegt an der Leere, an dem Nichts. Die Monotonie ist lediglich das Symptom, nicht die Ursache! Nein, ich schiebe auch das beiseite, verbanne es aus meinem Gehirn, und schon verflüchtigt es sich und ist verschwunden.
Neben ihm auf der Couch habe ich wieder das Gefühl, Peter wäre zu groß für mich, genau wie damals im Krankenhaus, aber eigentlich habe ich mich mittlerweile an seine Masse gewöhnt. Inzwischen wirken die tellergroßen Hände und die fässergroßen Oberarme sogar tröstlich auf mich, vermitteln mir ein Gefühl von Sicherheit. Er ist meine Zuflucht im Sturm, mein fast wörtlicher Unterschlupf. Würde ich mich unter ihm verstecken, könnte ich – davon bin ich fast überzeugt – all das hier tatsächlich überleben, egal, was sich am Horizont als Nächstes zusammenbraut.
Ich nehme seine riesige Pranke und lege sie an meine Wange. Er ist überrascht, hört auf zu kauen, versucht, die Situation einzuschätzen, und wischt sich unbewusst die freie Hand ab am Hosenbein.
«Erzähl mir was Wunderbares über uns», bitte ich ihn. Diese Bitte stelle ich ab und zu, damit er mir etwas über meine Vergangenheit erzählt. Dann bewege ich die Geschichte eine
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