Ein Sommer und ein Tag
kommt und geht», bemerkte sie. «Es gibt kein Heiß ohne Kalt.»
«Das weiß ich. Natürlich weiß ich das!»
«Aber Ehen können Seitensprünge überstehen», fuhr sie fort. «Das ist eine Frage des Verzeihens auf der einen und der Reue auf der anderen Seite.»
«Genau das ist der Punkt», erklärte ich. «Das mit dem Verzeihen ist gleichzeitig einfach und schwierig – ich kann mich an nichts erinnern, sondern muss mich auf das verlassen, was er mir erzählt. Ich habe keine eigene Geschichte, auf die ich mich stützen und aus der ich das Vertrauen ziehen kann weiterzumachen.»
«Und was passiert, wenn Sie aufhören, das Ganze zu analysieren?» Sie verlagerte ihr Gewicht.
«Aufhören, es zu analysieren? Ich bin eine Analytikerin. Sagen mir zumindest ständig alle. Damit kann ich nicht aufhören. Ich bin eben so.»
«Aber Sie haben sich selbst eingestanden, anders sein zu wollen. Wieso versuchen Sie es dann nicht mit einer anderen Taktik?»
«Die da wäre? Einfach nur zu leben?»
«Na ja, warum nicht?» Sie zuckte mit den Achseln, aber mir war klar, dass sie es nicht nur so dahingesagt hatte. «Wieso versuchen Sie nicht – nur eine Woche lang – von Tag zu Tag zu leben und einmal zu beobachten, wie es sich anfühlt und ob das etwas anstößt? Vielleicht hilft es Ihnen dabei, diese – mangels eines besseren Wortes, wie Sie sagten – Beigeheit herauszudestillieren.»
«Das klingt zu einfach.»
«Es ist auch kein Allheilmittel», gab sie zu. «Aber für diesen speziellen Aspekt Ihrer Heilung kann es hilfreich sein, die Quelle Ihrer Emotionen aufzusuchen, um zu sehen, ob wir so die Mauer der Gleichgültigkeit überwinden können.»
«Um damit vielleicht etwas anderes anzuregen?»
«Um, wenn es Ihnen gelingt, im Augenblick zu leben, vielleicht eine andere Antwort zu provozieren, wenn ich Sie nächste Woche noch mal nach Liebe frage.»
«Kleine Schritte», sagte ich.
«Kleine Schritte», wiederholte sie. «Ehe wir rennen können, müssen wir lernen zu gehen.»
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13
B is Freitag habe ich in so vielen Augenblicken gelebt, dass mein Gehirn den permanenten Strom von aufblitzenden Bewertungen und Analysen beinahe zum Stehen gebracht hat. Liv hat mir ein Schlafmittel verschrieben, und seit vier Nächten schlafe ich so tief, dass ich am nächsten Morgen nicht mehr weiß, was ich geträumt habe. Ich bin so ausgeruht wie noch nie seit meinem Unfall. Ich schlucke den Ärger über die Yogamatte und die selbstgebackenen glutenfreien Kekse hinunter, die meine Mutter mir mit FedEx geschickt hat, bringe eine fast fröhliche Antwort zustande, als Samantha mir zögernd von der bevorstehenden Baby-Shower-Party für eine Freundin erzählt, und verbiete mir die negativen Vermutungen, die sich aufdrängen wollen, als Peters SMS-Ton erklingt, während er in der Küche ist – der Gedanke Ginger verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Als das Labor-Day-Wochenende vor der Tür steht – ich bin seit fast einem Monat wieder zu Hause –, bin ich überrascht, wie leicht es mir fällt, alles beiseitezuschieben und einfach nur zu sein. Vielleicht hat man ja tatsächlich eine Wahl: die Wahl, sich im Spektrum des Regenbogens einfach einer anderen Farbe zu verschreiben.
Liv und meine Ärzte im Mount Sinai Hospital haben mir grünes Licht für Sex gegeben.
«Anatomisch betrachtet», teilte mir Dr. Hewitt, die Leiterin meines neuen Teams, mit, «sind Sie wieder ganz auf dem Damm.» Als wäre sie eine Kinderärztin und ich hätte gerade erfolgreich einen Schnupfen besiegt. «Sie fügen sich keinen Schaden zu, wenn Sie mit Ihrem Ehemann intim werden wollen.»
«Psychologisch betrachtet», sagte Liv, ehe sie am Donnerstag ging, «könnte es ein positiver Schritt für euch beide sein, um einander wieder näherzukommen – natürlich nur, wenn es sich richtig anfühlt. Es besteht kein Grund zur Eile.»
Und jetzt liegt das lange Wochenende vor uns. Peter kommt nach Hause, lässt neben der Wohnungstür seine Tasche fallen, kommt zur Couch und gibt mir einen Kuss. Dann geht er an den Kühlschrank, zweifellos, um sich ein Bier aufzumachen. Er hat mir erzählt, dass wir das Labour-Day-Wochenende früher immer auf den Hamptons verbracht haben – eine Kundin der Galerie drängte uns die Einladung in ihr Wochenendhaus regelrecht auf. Aber dieses Jahr hängen wir in der Stadt fest, weil ich mich für einen Ausflug aufs Land noch nicht bereit fühle, auch wenn es ein Ausflug in ein riesiges Landhaus mit Meerblick
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