Ein Sommer und ein Tag
weiß? sagen würde. Aber jetzt habe ich grad all meinen Mut zusammengenommen, und ich kann den Augenblick nicht ungenutzt verstreichen lassen. Peter und ich müssen da durch. Meine Mutter hat recht. Es ist doch nur Sex, Liebes! , wie sie in ihrer E-Mail schrieb, auf die sie bis jetzt keine Antwort bekommen hat.
Er beugt sich vor und erwidert meinen Kuss, langsam, behutsam, kaum spürbar, und ich frage mich, ob ich so küsse wie früher und ob er es auch tut.
«Ich kann nicht fassen, dass du die Initiative ergriffen hast», murmelt er. «Das hast du früher nie getan.» Dann wird sein Kuss fordernder, und ich versuche, mit ihm Schritt zu halten, aber er ist jetzt fast außer sich, stürzt sich auf mich wie wild. Meine Lippen sind geschwollen und mein Gesicht wund von seinen zwei Tage alten Bartstoppeln.
«Langsam!», mahne ich ihn. «Langsam, sonst tust du mir weh.»
Er hält inne und reißt sich zusammen. Dann lächelt er, traurig und freudig zugleich.
Er knöpft mir die Bluse auf. «Niemals.»
Zwei Stunden später meldet sich unser Portier durch die Gegensprechanlage. «Ihre Schwester kommt rauf», sagt er und legt wieder auf.
Peter liegt schlafend im Bett. Er ist eingeschlafen, nachdem er sich staunend über das ausgelassen hat, was wir zustande gebracht haben – trotz meiner gerade erst verheilten Verletzungen, trotz meines eben erst verheilten (wahrscheinlich noch nicht ganz ausgeheilten) Vertrauens zu ihm, trotz, na ja, allem , eigentlich. Dennoch war der sichtliche Kampf gegen die schwer werdenden Augenlider schnell verloren, kurz darauf ging sein Atem tief und regelmäßig, die Brust hob und senkte sich. Ich schwankte mit unsicherem Gang zurück auf die Couch und machte den Fernseher an. Der Sex an sich war nicht schlecht, wobei: Auch hier besitze ich keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. Trotzdem fand ich es ganz okay. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, schon mal mit ihm geschlafen zu haben, aber offensichtlich konnte ich mich wenigstens daran erinnern, wie es geht, mit ihm zu schlafen, und wir mussten beide lachen – vor Erleichterung –, weil ich zum Glück doch nicht alles vergessen habe.
«Was ist denn mit deinen Haaren passiert?», fragt Rory anstelle einer Begrüßung, als ich ihr die Tür öffne. Ich zucke mit den Achseln und sehe zu Boden. «Oh, nein! Hast du nicht!», sagt sie.
«Er ist mein Mann. Ich wüsste nicht, was daran falsch sein soll.»
«Ich bin nur … überrascht. Nach allem, was du inzwischen weißt. Diese Reaktion hätte ich dir einfach nicht zugetraut.» Sie mustert mich und trägt sich mit einem Gedanken herum, den sie nicht mit mir teilen will. «Du bist Mom ähnlicher, als ich dachte.» Sie geht in die Küche und kommt mit einer Dose Coke Zero zurück.
«Das würde ich nicht sagen. Warum sagst du das? O Gott, nein, würg! Bitte sag das nicht!»
«Oh, sie und Dad haben sich ständig wieder ausgesöhnt. Vermutlich hast du dieses Gen geerbt, aber wie gesagt, ich hätte dir das früher einfach nicht zugetraut. Weißt du, dass dein Spitzname auf der Highschool Eiskönigin war?»
«Wie originell!», erwidere ich.
«Gib bitte nicht mir die Schuld. Ich habe dich nicht so getauft. Es fing an, als du in der zehnten Klasse auf einem vereisten Flecken ausgerutscht bist und dir das Handgelenk gebrochen hast. Du wolltest aber unbedingt auf eine Party und hast die Schmerzen einfach ignoriert, bis dein Arm so dick war wie ein Elefantenbein. Aaron Sacks, der Junge aus der Zwölften, der dich auf die Party eingeladen hat, brachte dich ins Krankenhaus. Mom konnte meinetwegen nicht von zu Hause weg, und Aaron ist die ganze Nacht bei dir geblieben, während du geröntgt und eingegipst wurdest. Und dann – zumindest seiner Erzählung zufolge – hast du dich geweigert, ihm einen Gutenachtkuss zu geben. Die Eiskönigin war geboren.»
«Ich hatte eben meine Prinzipien.» Mein neues Ich versucht, sich die Enttäuschung über mein altes Ich nicht anmerken zu lassen, weil ich nicht mal ein winziges Bisschen mit ihm rumgemacht habe. Nicht mal ein einziger Zungenkuss! Da hätte sich doch mein altes Ich keinen Zacken aus der Krone gebrochen.
«Dann erklär mir das hier», sagt sie und deutet in Richtung Schlafzimmer. Sie wird blass. «Scheiße, das war gemein. Nein, du hattest wirklich deine Prinzipien … ich … na ja, wie gesagt, du warst früher eben anders. Ich habe es nur einfach nicht erwartet. Dieses Gen habe ich wahrscheinlich nicht mitbekommen.»
Die Dose zischt beim
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