Ein Sommer und ein Tag
Weile in meinem Kopf hin und her, um sie schließlich Jamie aufzutischen. Manchmal vor laufender Kamera, manchmal einfach nur so. Und manchmal füge ich bei der Wiederholung winzige Details hinzu, kleine Informationssplitter, die ohne Vorwarnung plötzlich da sind, aber meistens gebe ich nur wieder, was mir selbst erzählt wurde. Rory hat dank der Publicity für die Galerie ihre Einstellung zu American Profiles inzwischen geändert, doch meine Mutter ist nach wie vor strikt dagegen. Sie versteht es nicht – sie kapiert nicht, dass es für mich eine Art Katharsis ist, all das zu protokollieren. Wer weiß, was sonst noch verloren geht oder sich einfach verflüchtigt, wenn ich es nicht tue, völlig ohne Vorwarnung, so wie beim letzten Mal? Und sie weiß natürlich auch nicht, dass Jamie mir die Antworten beschaffen wird, die sie mir vorenthält. Ganz abgesehen davon, höre ich ohnehin nicht mehr auf meine Mutter, seit ich das Bild von dem weißen Haus gefunden habe, dem Haus, an das wir uns beide erinnert haben und das sie leugnen wollte. Das Haus für die andere Hälfte seines Lebens. Sie zu ignorieren heißt auch, im Augenblick zu leben.
«Was möchtest du hören?», fragt Peter, ohne die Hand wegzuziehen. Er wirkt nervös, scheint zu spüren, dass dieses Gespräch woanders hinführen könnte als unsere bisherigen Unterhaltungen.
«Irgendwas», sage ich, lasse mich gegen das Samtpolster sinken und lege behutsam meine Beine auf seinen Schoß. «Erzähl mir etwas über uns, das zeigt, wie wunderbar wir früher waren.»
Er zögert, wartet darauf, dass ihm die richtige Antwort auf meine Aufforderung einfällt.
«Als wir zwei Monate zusammen waren, sind wir ganz spontan übers Wochenende nach Paris geflogen», sagt er mit einem versonnenen Lächeln. «Ich war noch nie dort gewesen. Du wolltest unbedingt mit mir gemeinsam dorthin, um mir die Stadt zu zeigen.»
«Wieso hast du mir das noch nicht erzählt?» Ich schließe die Augen und versuche, mich an irgendwas zu erinnern. Den Eiffelturm, die Seine, die Straßencafés, wo es frischen Brie gibt, und all die anderen verführerischen Dinge.
«Es ist mir selbst gerade erst wieder eingefallen. Es war ganz am Anfang, und» – er zuckt mit den Achseln – «keine Ahnung. Manche Dinge vergisst man eben.» Ich nicke, weil er ja so recht hat, und er fährt fort.
«Jedenfalls war ich ein bisschen nervös, nach Europa zu fliegen – es herrschte ungeheure Terrorangst. Also haben wir es krachen lassen und sind erste Klasse geflogen. O mein Gott, haben wir auf dem Flug viel Wein getrunken – und wir haben diese kleinen Kosmetiksets bekommen, die müssen immer noch irgendwo im Badezimmerschrank sein – und bei der Landung hatten wir beide einen Kater, aber gleichzeitig waren wir total glücklich und überdreht – diese ganz besondere Art von Rausch, weißt du, was ich meine? Wir fuhren also in die Stadt, und du hast darauf bestanden, dass wir unser Budget endgültig sprengen und im George V. absteigen.»
«Was ist das George V.?»
«Das schönste Hotel der Stadt – wirklich superschön.»
«Wie konnten wir uns das leisten?»
«Äh, du hast Geld. Hat deine Mutter dir das nicht gesagt? Ich hatte sie gebeten, es dir zu sagen.»
Ich schüttle den Kopf. Gott weiß, was meine Mutter mir noch alles nicht erzählt.
«Tja, also, dein Vater hat einen Fonds für dich eingerichtet, ehe er, äh, ehe er euch verlassen hat. Du rührst ihn nicht an – außer damals, als du die Galerie eröffnet hast. Aber diese Reise war es dir wert. Du sagtest, du würdest nie was für dich selbst tun und dir nun endlich auch mal was gönnen wollen.» Er zuckt mit den Achseln. «Du warst so aufgeregt deswegen, dass ich dich nicht davon abgehalten habe. Wenn ich hätte bezahlen müssen, wären wir für fünfzig Dollar die Nacht in irgendeiner verwanzten Bruchbude gelandet, und … tja!»
«Das Hotel war also so richtig dekadent, ja?» Ich versuche, es mir vorzustellen: Zimmermädchen, Damastbettwäsche, spätabends Pralinen und Champagner aufs Zimmer. Mein neues Ich ist hingerissen.
«Wir wohnten gewissermaßen Tür an Tür mit Hugh Grant.» Er lacht, und ich lache auch. Wir haben uns letztes Wochenende Notting Hill angesehen, und deshalb kapiere ich diesmal den Verweis. «Du hast die ganze Zeit so getan, als würdest du ihm nicht nachspionieren, aber dann standen wir irgendwann mit ihm im Lift, und du hast ihn angesprochen. Er ist wirklich ausgesprochen nett und höflich geblieben, wenn man in
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