Ein Sommer und ein Tag
Betracht zieht, dass die roten Quaddeln, die du vor lauter Nervosität am Hals bekommen hast, wirklich nicht zu übersehen waren.»
«Ich glaube dir kein Wort», sage ich, aber ich muss lächeln, und irgendwie glaube ich ihm doch.
«Du musst es ja nicht glauben, wenn du nicht willst.» Er grinst. «Aber ich schwöre bei Gott.»
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich zu dem Typ Frau gehört habe, der beim Anblick eines Promis einen hysterischen Anfall kriegt.»
«Du warst ein Riesenfan von Vier Hochzeiten und ein Todesfall .»
«Den muss ich mir ansehen», sage ich, einen Augenblick von der Geschichte abgelenkt, weil ich wieder mal daran denken muss, an wie wenig ich mich erinnern kann. «Okay. Erzähl weiter.»
«Wir sind drei Tage lang von einem Museum zum nächsten gelaufen – Louvre, D’Orsay, Orangenmuseum.»
«Das Orangenmuseum?»
«So habe ich es genannt – ich kann kein Französisch, aber ich habe mein Bestes gegeben.» Er lacht. «Du konntest nicht genug bekommen von der Stadt – von der Kunst, von der Architektur. Damals hast du mir dann auch erzählt, dass du früher gemalt und mit dreizehn aufgehört hast. Als ich dich fragte, ob du vorhättest, irgendwann wieder damit anzufangen, sagtest du: ‹Nie!› und dass es sowieso mehr das Ding deines Vaters gewesen wäre. Du hast damals so verletzlich und empfindlich geklungen, so voller Bedauern, dass ich das Thema fallen ließ.» Er hält inne und blinzelt, ein bisschen zu schnell. Weil er sich seit der Sekunde, in der ich aus dem Koma erwacht bin, auf einer emotionalen Achterbahnfahrt befindet, weiß ich, dass er wieder zu nah an den Abgrund gekommen ist.
«Bitte nicht weinen», sage ich in der Hoffnung, dass es genügt, um ihn zurückzuhalten.
«Bitte erzähl mir einfach noch ein bisschen von Paris. Es hört sich himmlisch an.»
«Ja, gut.» Es ist ihm anzumerken, wie sehr er mit sich ringt. «Tut mir leid. Scheiße, was bin ich im Augenblick nur für ein Weichei!»
«Schon gut.» Nein, nicht gut! Das hat nichts mit Leben im Augenblick zu tun!
«Ich … O Gott, das hört sich so albern an, aber was soll’s! Weißt du, in Paris habe ich gemerkt, dass ich dich heiraten will. Du warst so furchtbar traurig, wegen der Malerei, wegen deines Vaters, und ich hatte nur den Wunsch, dich zu beschützen, vor allem, was dir widerfahren war. Und das, obwohl ich überhaupt nicht wusste, was genau eigentlich alles passiert war. Wir standen in der Kathedrale von Notre-Dame, sahen zu den bunten Glasfenstern hinauf. Ich weiß selbst, wie schmalzig sich das jetzt anhört, wie in diesen bescheuerten Werbespots, die ich mache, aber ich sah dich an, rund um uns herum brach sich das Licht in alle Richtungen, und ich dachte nur: Das ist es. Sie ist es. Ich bleibe bei ihr bis ans Ende meines Lebens.»
«Bis es dann doch anders kam», sage ich und bereue es augenblicklich. Weil wir damit das Im-Augenblick-Leben endgültig wieder verlassen haben. Weil wir damit den ganzen übel stinkenden Sumpf unserer Vergangenheit mit zu uns in den jetzigen Augenblick hereinzerren.
«Bis es dann doch anders kam», bestätigt er. «Wenn ich wüsste, wie ich dir noch sagen kann, wie leid es mir tut, würde ich es tun.»
«Nein, nicht. Mir tut es leid. Das hätte ich nicht sagen sollen. Das war unangebracht.»
Ich verstumme, und weil es nichts mehr zu sagen gibt und der Parisgeschichte die Luft ausgegangen ist, beuge ich mich zu ihm und küsse ihn. Nicht aus einem Gefühl heraus, sondern weil meine Ärzte und Therapeuten und – du meine Güte! – meine Mutter, die mich vor drei Tagen via E-Mail bedrängt hat, meinen Körper endlich wieder mit meinem Ehemann zu teilen , vielleicht recht haben: Vielleicht ist es Zeit, sich wieder näherzukommen, und das kann ich nur herausfinden, wenn ich ins kalte Wasser springe. Also springe ich: Ich springe, ohne hinzusehen, laufe, ehe ich gehen kann, wie Liv es vielleicht ausdrücken würde, obwohl sie mich darum gebeten hat, genau das nicht zu tun.
Ich küsse ihn innig. Er erwidert den Kuss und schiebt mich dann weg. Ich habe immer noch den Geschmack von Cookie Crisps und Bier auf der Zunge.
«Bist du sicher?», will er wissen. «Haben wir den anderen Krempel wirklich hinter uns? Ich meine, ist es wirklich Vergangenheit?»
Alles ist Vergangenheit! Alles und nichts und Gott weiß was noch! , würde ich am liebsten schreien.
«Ja, bin ich. Haben wir. Ist es», antworte ich, obwohl ich viel lieber Ja, vielleicht, versuchen wir es, wer
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