Ein Sommer und ein Tag
Öffnen, und auf einmal sinkt Rory ganz plötzlich auf den nächsten Stuhl, schluchzt auf wie ein verletztes Tier und sitzt mit bebenden Schultern vor mir. Ich brauche einen Augenblick, um zu kapieren, dass sie weint.
«O Gott, Rory, was ist denn? Was ist los? Ist es wegen Peter und mir?»
Sie hebt den Kopf, nimmt die Hände vom Gesicht und sieht mich an. Die Wimperntusche ist verschmiert, und die gerötete Nase läuft.
«Es ist wegen Hugh. Wir haben uns getrennt.»
«Was? Warum das denn?» Ich helfe ihr – wir helfen uns gegenseitig – zur Couch. Zu dieser verfluchten, grottenhässlichen Goldcouch. Trotz des Unglücks meiner am Boden zerstörten Schwester nehme ich mir fest vor, in ein Möbelgeschäft zu gehen und eine neue Couch zu kaufen. Gleich morgen. Nein, lieber gestern als morgen. Ich kann dieses Monster in meiner Wohnung keinen Augenblick länger ertragen. In der Wohnung meines früheren Ichs.
«Ach, ich weiß es nicht! Nein, natürlich weiß ich es, aber ich weiß es auch nicht. Keine Ahnung!» Sie stöhnt. «Wir haben uns gestritten … ich wollte endlich heiraten, er war noch nicht bereit … ich habe ihm … ach Scheiße, Nell, ich habe ihm ein Ultimatum gestellt. Ich werde schließlich auch nicht jünger! Meine Eierstöcke produzieren nicht bis in alle Ewigkeit!»
«Du bist erst siebenundzwanzig, Rory», sage ich sanft und versuche den Gedanken an meine eigenen Eierstöcke zu verdrängen, verletzt, beschädigt, ausgelaugt. Ich lebe im Augenblick und konzentriere mich jetzt auf eine neue Couch. Vielleicht finde ich ja etwas in einem glänzenden Rot oder überraschenderweise in einem satten Meerblau.
«Jetzt ist es sowieso zu spät!» Sie steht auf und fängt an, hektisch hin und her zu laufen. Ich spüre ihre Verzweiflung und zwinge meine Gedanken zu ihr zurück. «Es ist zu spät, Scheiße noch mal! Ich habe ihm ein Zeitlimit gesetzt, er hat’s verpasst, und jetzt ist es leider ein bisschen zu spät! Ich habe ihn angeschrien, er hat mich angeschrien, und wir haben beide Dinge gesagt, die wir nicht hätten sagen sollen – er hat mich erpresserische Kuh genannt, und es kann schon sein, dass ich ihn als feigen Schlappschwanz beschimpft habe, und jetzt ist alles eine einzige verfickte Scheiße!» Sie wirft dramatisch die Arme in die Luft und lässt sich wieder zurück auf die Couch fallen.
«Menschen sagen die ganze Zeit Dinge, die sie nicht sagen sollten», versuche ich sie zu besänftigen. «Das kann man doch ganz einfach wiedergutmachen. Wozu gibt es schließlich Entschuldigungen?»
«Nein. So einfach ist es nicht», sagt sie leise mit brüchiger Stimme. «Ich habe erkannt, wie kostbar das Leben sein kann. Ich sehe dich, weiß, dass du um ein Haar gestorben wärst und was du verloren hast. Ich kann diesen Unverbindlichkeitismus nicht mehr ertragen.»
«Unverbindlichkeitismus?»
«Das habe ich gerade erfunden.» Sie schnaubt. Es klingt halb nach Trauer, halb nach Galgenhumor. «Wie gesagt, mir fehlt wohl dieses Gen … mich einfach zufriedenzugeben.» Sie schüttelt den Kopf. «Nein, ich wollte damit nicht sagen, dass du dich einfach zufriedengibst. Himmel! Tut mir leid. Du weißt, was ich meine.»
Nein, weiß ich nicht, aber es erscheint mir besser, nicht auf die Bemerkung einzugehen, anstatt sie unnötig aufzuplustern. Rory hat keinen blassen Schimmer von Vergebung, von Isolation und Verzweiflung, also, was soll’s?
«Letztes Wochenende schien bei euch doch noch alles in bester Ordnung zu sein, oder?»
«Beurteile nichts, was du nicht siehst. Von wegen hinter verschlossenen Türen und so. Wenn du dich an Mom und Dad erinnern könntest, wüsstest du, was ich meine.» Sie zögert. «Wobei, vielleicht auch nicht.»
«Ach, Rory, das bekommt ihr schon wieder hin.» Ich ziehe ihren Kopf auf meine Schulter, damit sie sich beruhigt. So bleiben wir sitzen, bis das Telefon klingelt und wir wie von der Tarantel gestochen hochschrecken.
Die jähe Bewegung jagt mir einen stechenden Schmerz durch die Hüfte. Eine unsanfte Erinnerung an die ungewohnten Verrenkungen von vorhin und daran, dass ich nicht mehr bin, was ich mal war.
«Äh, hallo?», stammle ich, als ich nach dem dritten Klingeln durch die Durchreiche nach dem Telefon greife und abhebe.
«Ich bin grad um die Ecke», sagt Anderson. «Ich komme kurz rauf.»
Ich werfe einen Blick zu Rory hinüber, die auf die Couch zurückgesunken ist und die Hände vors Gesicht geschlagen hat.
«Es geht gerade nicht so gut.»
«Mir auch nicht»,
Weitere Kostenlose Bücher