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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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anzusprechen. Leichter, so zu tun, als hätte Rory es nicht gesagt, als hätte mein nicht existentes Kind nicht einst sehr wohl existiert, als würde das Leben alle Wunden von selbst wieder heilen. Denn wenn ich mich alldem öffnete – dem lauernden Sumpf aus der Fehlgeburt, der Schwangerschaft und den Fragen, was ich mit dem Kind und meiner kaputten Ehe vorhatte –, würde ich damit einen wahren Dominoeffekt lostreten: Wenn ich einen anstieß, würden die anderen automatisch früher oder später auch umfallen. Wieso sollte ich ausgerechnet jetzt, wo sich alles gerade wieder so schön beruhigt hat, in alten Geschichten herumwühlen? Wieso in der alten Scheiße rühren, wo ich doch endlich den Deckel zugeklappt habe?
    Gegen die kühle Rinde eines Baums gelehnt, höre ich zu.
    «Empfinden Sie es als Enttäuschung», fragt Jamie meine Mutter, während sie auf der Ostseite des Parks an eine Bank kommen und sich setzen, «dass Francis trotz allem, was Sie durchgemacht haben, selbst jetzt zu seiner Familie keinen Kontakt aufgenommen hat?»
    Meine Mutter reagiert sichtlich bestürzt auf die Frage, und ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass ich sie nicht auf das Thema vorbereitet habe, oder weil das Medium zu öffentlich ist, um eine so intime Frage zu beantworten. Doch dann fällt mir ein, dass es so etwas wie «zu öffentlich» für meine Mutter nicht gibt, also muss es an Ersterem liegen. Sie stammelt und stottert und tupft sich, um Zeit zu schinden, mit einem durchweichten Taschentuch die verlaufene Wimperntusche weg.
    «Ich bemühe mich eigentlich, in den Medien nicht über ihren Vater zu sprechen», stammelt sie, als sie ihre Sprache wiederfindet. «Aber ich kann zumindest so viel sagen, dass ich aus tiefster Seele enttäuscht darüber bin, dass er es, auch wenn er heute als Einsiedler lebt, nicht geschafft hat, sich – von wo auch immer er jetzt ist – zu melden, um Nell zu unterstützen.»
    Jamie nickt verständnisvoll, eine Geste, wie Reporter sie vermutlich vor dem Spiegel üben. Er ist völlig in seinem Element, geht darin auf, eine veränderte Inkarnation des Jamie, den ich kenne.
    «Dann hat es also keinen – wirklich keinen – Kontakt mehr gegeben, seit er auch für die Öffentlichkeit von der Bildfläche verschwunden ist?» Jamie setzt sie ein bisschen unter Druck. Er weiß, dass er damit Schlagzeilen machen wird, sich mit dieser Sendung vielleicht sogar einen festen Platz im Team von American Profiles sichern kann. Und er weiß – zumindest hoffe ich, dass er es wenigstens in Betracht gezogen hat –, dass er auch in meinem Namen fragt. Das ist unser Deal gewesen: Du besorgst mir ein paar Antworten und bekommst dafür die Geschichte exklusiv. Also stehe ich da, sehe zu und hoffe, dass er das in erster Linie für mich tut, auch wenn mein Bauch – mein blöder Bauch, halt die Klappe, dir glaub ich sowieso nicht mehr! – sich meldet und versucht, mir etwas anderes einzureden.
    «Sie müssen verstehen», erklärt meine Mutter jetzt, «was es hieß, mit einem Genie wie Francis zusammenzuleben. Vermutlich gab es einen Teil in mir, der immer wusste, dass meine Zeit mit ihm begrenzt war. Aber ich habe diese Entscheidungen als erwachsene Frau getroffen. Unsere Kinder hatten diese Wahl nicht. Selbst wenn er also in ihr Leben zurückgewollt hätte, wäre ich nie darauf eingegangen, weil er sie, als er ging, zu sehr verletzt hat.»
    In mir gerät etwas ins Rutschen, schießt nach unten, tiefer und immer tiefer. Neben mir runzelt Rory die Stirn und fängt an, am Nagel ihres Zeigefingers herumzukauen. Dann sieht sie mich fassungslos an.
    «Wollen Sie damit sagen, dass Sie im Laufe der Jahre doch von ihm gehört haben?»
    «Nein, nein, nein, nein, nein, nein!» Meine Mutter wird blass und fängt wieder an zu stammeln. «Ich sage damit nur, dass ich nicht sicher bin, ob er willkommen gewesen wäre, falls ich von ihm gehört hätte . Wahrscheinlich wusste er das.» Sie nickt, als müsste sie sich selbst davon überzeugen, dass sie in der Lage war, uns zu überzeugen.
    Er wäre nicht willkommen gewesen? Und was ist mit dem Vortrag im Krankenhaus? Was ist mit den ganzen letzten Monaten, als sie versucht hat, mich in meine Ehe zurückzudrängen, zurück zu meinem Ehemann, in mein altes Leben?
    Ich halte es nicht mehr aus. Zum Teufel mit meinem Wohlwollen von vorhin! Hallo, altes Ich, schön, dich wiederzusehen!
    «Und was ist mit Verzeihen?», brülle ich aus dem Off. Jamie dreht sich zu mir um und sieht

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