Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
gesagt, ich spüre Angst. Sie waren unsere Puffer. Aber es ist besser, dass sie nicht da sind, wenn wir das Gespräch führen, das unausweichlich ist.
Das ist die Gelegenheit, und wir wissen es beide nur zu genau.
Er schaut mich an, als hätte er mich noch nie gesehen. Als würde er versuchen, mich in die Frau zu verwandeln, von der er sich ausgemalt hatte, sie in seinem Haus, in seiner Küche anzutreffen. Diejenige, die dafür verantwortlich ist, dass es ihm so schlecht geht. Aber ich glaube, ich habe ihn überrascht mit meinen Küchendüften und der Veteranenschürze und meiner Lässigkeit.
»Wir müssen uns unterhalten«, sage ich zu ihm.
Er nickt.
Heftige Panik erfasst mich. Sie fühlt sich weiß und heiß an. Trotzdem nehme ich seine Hand, staune über seinen festen Griff, und gemeinsam gehen wir auf die Veranda.
Dort reden wir.
Er weint. Er sagt, er hätte viel nachgedacht. Er fühlt sich, als könne er nicht atmen. Er muss auf sein Bauchgefühl hören. Er weiß, was er zu tun hat. Es ist das Schwerste, was er je zu jemand sagen musste. Etwas, von dem er nie geglaubt hätte, es sagen zu müssen. Aber er möchte nicht mehr in meiner Nähe sein. Er glaubt nicht, dass er mich noch liebt. Er möchte allein sein. Er weiß, dass die Kinder das verstehen werden.
Sie werden begreifen, wie sehr er sich danach sehnt, wieder glücklich zu sein. Er wird sich in der Stadt eine Wohnung suchen. Er sagt tatsächlich: »Deine Schriftstellerei führt doch zu nichts. Du rennst nur wieder und wieder mit dem Kopf gegen die Wand, und ich halte das einfach nicht mehr aus. Ich hätte wohl nie eine Schriftstellerin heiraten dürfen.«
Das soll der Grund für die ganze Geschichte sein? Er geht mich wegen meiner erfolglosen Karriere an? Und was ist mit meinen anderen Erfolgen? Er muss sich doch bloß umsehen, und schon hat er sie in 3-D und Technicolor vor Augen. Er muss doch nur in die Augen der Kinder schauen. Ich habe so viel anderes erreicht. Außerdem hat er schon seit Ewigkeiten nichts mehr von mir gelesen. Nur weil sich kein Verlag dafür findet, heißt das doch noch lange nicht, dass meine Arbeit wertlos ist.
Ich möchte mich verteidigen. Über die Verlagsbranche lamentieren. Ihm Kopien all meiner »guten« Absagebriefe vorlegen. Ihn daran erinnern, dass im Gegensatz zu den meisten Autoren mein Zuhause kein Irrenhaus ist, sondern ich doch ziemlich ausgeglichen bin. Kein weiblicher Bukowski oder so etwas.
Aber ich habe mir schließlich schon so oft gesagt: Manchmal wird man nur missverstanden, wenn man sich selbst erklären will. Und so bahnt sich mein Italien-Gefühl einen Weg durch alte Scham und neue Panik.
Ich bleibe ruhig. Denke an die Venus. Geboren aus den Tiefen des Meeres und von freundlichen Winden ans Ufer geweht. Ich denke an mich vor zwanzig Jahren, als ich mich so frisch befreit, fast wie neugeboren fühlte. Dann denke ich daran, wie ich mich heute, mit 41, fühle, nachdem ich meinem früheren Ich quasi Auge in Auge gegenübergestanden bin. Ich wiederhole stumm für mich: Es ist alles da, es ist in
dir . Nein, ich werde mich nicht leidend zurückziehen. In die Tiefen dieses Ozeans. Er kann mit meinem ausbleibenden beruflichen Erfolg nicht umgehen? Oder eher mit seinem eigenen?
»Das nehm ich dir nicht ab«, sage ich.
Er starrt mich entgeistert an.
»Nein. Das nehm ich dir nicht ab.« Ich erkläre ihm, dass ich glaube, das Ganze hätte mehr mit ihm zu tun. Er hält es mit sich nicht mehr aus. Er bezieht Stellung. Das ist an sich ja eine gute Sache. Nötig und erfreulich. Ich weiß, was es bedeutet zu leiden. Ich sage: »Ich bin mir gar nicht sicher, ob es hier überhaupt um mich geht. Aber wie auch immer«, füge ich hinzu, »wir haben so viel in diese Ehe investiert, und zwei kleine Seelen und Herzen stehen auf dem Spiel.«
Ich schreie nicht: Aber ich liebe dich! Oder Brich mir nicht das Herz! Ich bleibe cool. Das Verkünden meiner Liebe würde ihn im Moment höchstens verärgern. Meine Liebe steht hier sowieso nicht zur Diskussion. Stattdessen sage ich ihm, er solle doch nur mit einem Rucksack für ein paar Monate in ein Land der Dritten Welt reisen, was er sich schon lange mal vorgenommen hat. Oder zusehen, dass seine Eltern ihm zu seinem bevorstehenden Geburtstag einen Trip zum Great Barrier Reef sponsern. Sie sind bekannt dafür, solche Unternehmungen ihres Nachwuchses zu finanzieren. Denn sie glauben an die heilende Kraft des Reisens und würden darin eine ausgezeichnete Investition in das
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