Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Wohlergehen ihres Sohnes und folglich für den Fortbestand seiner Ehe und die Lebensqualität ihrer Enkelkinder sehen. Vielleicht sollte es auch eine Reise zum Fischen nach Alaska sein. Das ist sein Italien.
»Du brauchst ein Abenteuer«, sage ich und klinge wie die Zwanzigjährige, die er einmal geliebt hat.
»Machst du Witze? Ich kann meine Eltern doch nicht um Geld für einen Vergnügungstrip angehen! Sie würden mich doch für total unverantwortlich halten.«
Ich hüte meine Zunge, doch dann platzt es aus mir heraus: »Dann nimm etwas von unseren Ersparnissen. Das ist eine Investition in unsere Zukunft. Vielleicht das wichtigste Geld, das wir je ausgegeben haben.«
Er sagt, er wisse, was passiert, wenn er das täte. Er käme zurück und wüsste, dass er fortmuss. Oder er würde erst gar nicht zurückkommen.
»Großartig«, sage ich und versuche, nicht sarkastisch zu klingen. »Wenn das dann deine Erkenntnis ist.« Was ich jedoch bezweifle. Aber das denke ich nur. Stattdessen sage ich: »Wie willst du das je herausfinden, ohne es auszuprobieren? Eine Reise, die du allein unternimmst, wäre für die Kinder tausendmal leichter zu verstehen als eine Junggesellenbude in der Stadt – und dann trifft man seinen Daddy zufällig beim Einkaufen im Supermarkt, wo er wie all die anderen geschiedenen Väter unseres kleinen Ortes mit Tiefkühlpizza in seinem Einkaufswagen rumstrolcht. Es ist nicht altersgerecht, von ihnen zu erwarten, dass sie sich um dein Glück sorgen. Das geht einfach nicht. Sie würden darin nur eines sehen: Dass man sie im Stich lässt.« Ich versuche, nicht gemein zu werden. Doch es fällt mir schwer. Bewusst denke ich an die Hügel der Toskana.
»Es gibt hier so viele Graustufen«, sage ich zu ihm. »Du scheinst nur die Möglichkeiten Kämpfen oder Fliehen zu sehen. Nur Schwarz oder Weiß, und du redest wirres Zeug. Dabei haben wir so viele Möglichkeiten. Und wir müssen sie gemeinsam durchgehen. Wie einen geschäftlichen Auftrag.«
»Es gibt noch einen Grund, warum ich nicht wegkann. Ich kann meinen Geschäftspartner nicht im Stich lassen. Nach
allem, was wir da hineingesteckt haben, kann ich ihn nicht so mir nichts, dir nichts sitzen lassen. Das kann ich ihm nicht antun.«
Ich weiß, dass sein Business in den letzten Zügen liegt. Ich weiß, dass es nur noch eine Frage von Monaten sein kann, bis sie sowieso zumachen. Und dass er das eigentlich schon vor Jahren hätte tun sollen. Es macht mich wütend, dass er dafür quasi zur Mund-zu-Mund-Beatmung als Reanimationsmaßnahme bereit ist, für unsere Ehe dagegen nicht. Auch nicht für sich selbst. »Aber mich kannst du sitzenlassen? Uns? Die Kinder? Was wir gemeinsam aufgebaut haben?«
Er schweigt.
Ich höre heulende Motoren von der Einfahrt.
»Wer kommt denn da?«
Ein paar Kumpels von ihm. Sie gehen Motocross fahren.
Er sagt, er liebe mich, und beeilt sich, zu ihnen zu kommen. Diese Worte verwirren mich jetzt völlig.
Und dann ruft er wieder nicht an. Und kommt auch an diesem Abend nicht mehr nach Hause. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es diesmal nicht auf das fehlende Handynetz schieben kann.
In meinen schlimmsten Momenten denke ich, es wäre leichter, wenn er einen schlimmen Unfall auf seinem Motorrad hätte und sterben würde. Trauer scheint mir um so vieles erträglicher als Verlassenwerden – für uns alle, die er zum Wohl seines »Glücks« zurücklassen will.
Am nächsten Tag grille ich die Würstchen und setze das gekochte Fleisch mit den gekochten Bohnen bei schwacher Hitze zusammen auf. Ich beschließe, dass wir das Cassoulet Sonntagmittag essen werden – gemäß der Tradition meiner Großmutter aus Illinois. Warum auch nicht? Warum sollen wir auf meinen Mann warten? Wir brauchen Zerstreuung.
Dann koche ich mir Tee und setze mich allein auf die Veranda und genieße den kräftigen Geruch nach bodenständigem Essen. Außerdem denke ich über das Glück nach.
Was bedeutet es, glücklich zu sein? In diesem Moment meines Lebens bin ich mir nicht sicher, ob es nicht lediglich ein kleiner Schritt zu weniger Leid ist. Ich kann mich zu diesem kleinen Schritt entschließen – auch wenn mein Verstand mit aller Macht versucht, mir einzureden, ich müsse doch verdammt noch mal durchdrehen!
Und während ich so dasitze, fallen mir meine alten Tagebücher ein. Und ich denke an Freiheit, nicht bloß Glück. Vielleicht ist diese Phase meiner Ehe eine echte Chance, endlich zu verstehen, was Freiheit ausmacht. Denn ich habe mich in
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