Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
So wie er sich auch sicher ist, dass ich eine berühmte Schriftstellerin bin.
In diesem Moment berührt mich das tief. Es fühlt sich an, als sei mein leiblicher Vater in eine Gastrolle in dem Italien geschlüpft, das ich mir selbst zum Geschenk gemacht habe. Als würde er einfach noch gern eine Randbemerkung machen. Diese Männer sagen mir etwas Altmodisches, aber vielleicht auch Zeitloses: Männer brauchen ihre Arbeit . Was ja nicht bedeutet, dass wir Frauen das nicht auch tun. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, vor allem wenn ich an den allabendlichen Gesichtsausdruck meines Mannes denke, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt.
Ich bedenke, wie stolz mein italienischer Vater auf seine Nägel und handgeschmiedeten Kerzenhalter und Bettgestelle
ist. So stolz wie mein Vater auf die Eisenbahnteile war, deren Patente seine Firma besaß. So stolz wie ich mich fühle, wenn ich wieder ein Buch vollendet habe, selbst wenn es nie jemand lesen wird.
Stolz.
Wann habe ich meinen Mann das letzte Mal stolz gesehen? Nicht seit er die Brauerei verlassen hat. Vor acht Jahren. Dabei geht es um nichts anderes: Stolz. Berechtigter, guter Stolz, der das Selbstwertgefühl trägt.
Ich habe am Ende eines Tages zumindest Manuskriptseiten in der Hand. Egal, ob der Text darauf je veröffentlicht wird. Und was hat er?
Mein Gott, ich wünschte, ich könnte ihm ein bisschen Stolz auf einem Teller servieren und ihn wie mit dem Cassoulet, an dem ich zwei Tage gekocht habe, damit aufpäppeln.
Doch das vermag ich nicht.
Die Dinge zu nehmen, wie sie eben kommen, genau das bedeutet diese Einsicht. Er muss seinen Stolz ganz allein wiederfinden. Und ich habe mich wohl noch nie so hilflos gefühlt wie jetzt gerade, auf meiner Veranda, mit dem inzwischen erkalteten Tee. Mein Rücken schmerzt, die Schürze ist fettig und fleckig, und in meiner Küche sieht es auch wie nach einem komplizierten operativen Eingriff.
Aber dann erinnere ich mich daran, was ich unter Kontrolle habe: meine Arbeit, meine Rolle in dem ganzen Szenario, meinen Stolz. Ich bringe immer noch herrliche Sachen zustande, wie das Cassoulet, egal, ob und wie er darauf reagiert.
Und nun? Wieder ein Tag, an dem meine Kinder sich fragen, wo ihr Vater ist. Und welche Ausrede soll ich ihnen heute anbieten? Ich habe ganz ehrlich keine. Mir war keine vergönnt. Wie viel Wahrheit können sie verkraften? Was soll ich
ihnen bloß sagen? Soll ich lügen und behaupten, er sei gestern spät nach Hause gekommen und heute Morgen früh zur Arbeit aufgebrochen? Ich will mich von ihm nicht zur Lügnerin machen lassen. Aber was nun?
Als hätte er meine Gedanken gelesen oder zumindest gespürt, klingelt auf einmal das Telefon. Er hat wohl beschlossen, seine Position durchzugeben.
Offenbar ist er also nicht mit seiner Geländemaschine tödlich verunglückt. Er entschuldigt sich. Sagt, er wäre gestern mit seinen Kumpels nach dem Biken noch lange unterwegs gewesen. Habe in seinem Büro geschlafen und käme in ein paar Stunden nach Hause.
»Sollen wir zum Essen mit dir rechnen?«, frage ich. Wenigstens das muss ich tun, den Kindern zuliebe. »Es gibt das Cassoulet.«
»Ja«, sagt er demütig. Ich kann seiner Stimme anhören, wie leid es ihm tut, dass wir das durchmachen müssen. Aber ich höre auch heraus, dass er glaubt, keine andere Wahl zu haben.
Also belasse ich es dabei. Ich beschimpfe ihn nicht, weil er nicht angerufen hat. Vielleicht hätte er das gern. Denn das würde es ihm möglicherweise leichter machen. Aber ich bin mir sicher, dass er auch so weiß, was er falsch gemacht hat. Ich weigere mich, in die Rolle der Unterdrückerin zu schlüpfen.
Stattdessen beende ich das Telefonat abrupt und stelle das Cassoulet zum Fertigkochen in den Ofen, auch wenn ich nicht weiß, ob ich ihn beim Wort nehmen kann. Auch wenn es mir plötzlich so wichtig scheint, dass er diese kulinarische Kreation kostet. Dass er meine Liebe spürt, und sei es nur auf dem Umweg über den Magen. Gleichzeitig weiß ich, wie lächerlich das ist.
Dann höre ich die Kinder im Flur. Ich habe noch ein paar Augenblicke, um die Fassung wiederzugewinnen.
Sie kommen in die Küche gestürmt. »Ist es fertig?«, jubilieren beide und laufen, beide noch in ihrem zerknitterten Pyjamas, zum Ofen. Sommerferienstimmung.
»Fast!« Ich versuche, gut gelaunt zu wirken. »Wir werden es zu Mittag essen!«
»Lass uns warten, bis Daddy es auch sehen kann«, sagt mein Sohn und späht durch die Ofenscheibe auf den hübschen
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