Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Kupferbräter.
»Wo steckt Daddy eigentlich? Er wird es noch verpassen!«, sagt meine Tochter und klingt, als würde sie es verschmerzen, wenn dem so sein sollte.
Zum Glück kann ich zumindest das erwidern: »Er hat gesagt, er wird zum Essen da sein.« Die Antwort auf seinen Verbleib spare ich aus. Vielleicht kann sie ihm die Frage nachher selbst stellen.
Gütiger Gott, was hat Mary Bailey zu ihren Kindern gesagt? Ich versuche krampfhaft, mich an irgendeine der vielen lehrreichen Szenen aus Ist das Leben nicht schön? zu erinnern, aber alles, was mir einfallen will, ist, dass mein Vater sich am Ende des Films, als der Weihnachtsbaum in buntem Lichterglanz erstrahlte, immer die Augen ausheulte.
Also hole ich tief Luft und lächle ein falsches Lächeln, das sie gewiss nicht täuschen kann. »Daddy macht im Moment eine harte Zeit durch. In seiner Arbeit. So geht es im Moment vielen Leuten im ganzen Land. Vielen Leuten … überall auf der Welt. Wir müssen Geduld mit ihm haben. Erinnert ihr euch, wie schwer es für mich war, nachdem Großvater gestorben war? So ähnlich ergeht es Daddy gerade.«
Die beiden sehen mich besorgt an.
»Aber egal, was passiert … wir lieben euch, und alles wird wieder in Ordnung kommen.« Ich fühle mich, als würde Mary Bailey mich anstupsen, und so füge ich noch hinzu: »Kommt, lasst uns jetzt den Tisch decken, als würde die Königin von England zum Mittagessen kommen. Auch wenn wir nur unter uns sein werden.«
Und selbst wenn ich gelernt habe, Trost in der Schönheit der Natur zu finden – heute will ich den Trost meiner Kindheit. Ich möchte mich mit den schönen Dingen meiner Mutter und Großmütter trösten lassen. Ich will alles so auf dem Esstisch arrangieren, dass es Sicherheit, Zuversicht, ein Zuhause verspricht. Früher versicherten diese Sachen mir, dass das Haus sich bald wieder mit Eltern, Großeltern, größeren Geschwistern aus dem Internat oder vom College, Tanten und Onkeln, Cousins und Cousinen füllen würde. Und dass ich dabei sein dürfte – alt genug, um mit der kostbaren Pracht umzugehen, selbst wenn das bedeutete, dass ich kratzige Kleider tragen, meinen Mund halten und die Ellbogen vom Tisch nehmen musste.
Alte Tränen treten mir in die Augen, weil ich mich an die vielen Stunden erinnere, die ich als kleines Mädchen unter unserem Esstisch zugebracht und darauf gewartet habe, dass »die ganze Familie« zurückkehrt. So viel von meiner Kindheit ist mit Warten auf dieses Ereignis vergangen.
Daher fällt es mir in meiner gegenwärtigen Situation besonders schwer, den Tisch so festlich zu decken.
Aber wir tun es trotzdem. Denn es wird auch für mich immer wichtiger. Als würde ich mir selbst durch diese Tafel versichern und versprechen, dass ich zurechtkommen werde – egal, ob er mich verlassen wird oder nicht. Sicher, getröstet, beheimatet. Genauso, wie ich es meinen Kindern versprochen habe.
Das bläue ich mir mit jedem Stück Silberbesteck, mit jeder gestärkten und gebügelten Serviette, mit jedem makellosen Kristallglas ein. Nicht nur in meinen Kopf, auch in mein Herz. Und so decken wir diesen wunderbaren Tisch – für vier.
Meine böse Zwillingsschwester Sheila
Der letzte Junitag.
Er kam zum Essen nach Hause. Schlang sein Cassoulet wortlos in fünf Minuten runter. Stand vom Tisch auf, ließ sein Gedeck einfach stehen und fläzte sich dann auf die Wohnzimmercouch, um Baseball zu schauen.
Normalerweise spielen wir nach solchen Festessen alle zusammen noch irgendein Gesellschaftsspiel. Normalerweise trägt er auch seinen Teller in die Küche. Normalerweise räumt er dann sogar die Küche auf. An diesem Tag jedoch nicht. Es war der kleinste gemeinsame Nenner. Und zwar mit voller Absicht.
Wie um ihn zu ermutigen, um ihn zu Hause zu halten, kuschelten sich die Kinder zu ihm auf die Couch. Unser Sohn gab mit seinen Kenntnissen der Tabelle an; meine Tochter tat so, als würde sie sich für Baseball interessieren.
Ich saß am Esszimmertisch inmitten meiner funkelnden Pretiosen und sah sie mir unverwandt an, bis die Kerzen heruntergebrannt waren. Die ganze Zeit über grübelte ich über seine Motive nach.
Das ist ein Tanz, den er da vollführt. Und zwar ein aggressiver. Es ist ja in Ordnung, sich für eine Weile in seinem Schmerz zu ergehen und sich wie ein sterbender Hund zu verkriechen. Solche egozentrischen Extratouren halte ich aus. Aber er scheint sich für etwas anderes entschieden zu haben, und ich kann es deutlich sehen. Er versucht,
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