Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
dazu. Zu schade, dass sie mehr als tausend Meilen von uns entfernt wohnt.
»Meinst du, ich kann ihn wenigstens bitten, sich nach Kräften zu bemühen? Soll ich ihm raten, sich einen Therapeuten zu suchen? Ich meine, das ist doch nicht zu fassen! Dass er alles einfach wegschmeißen will, ohne sich auch nur darum zu bemühen!«
»Nicht bei der Strategie, für die du dich entschieden hast. Ich würde es nicht tun. Lass ihn jetzt einfach schmoren. Steh es durch, so wie du es gesagt hast. Offen gesagt, klingt beides nach der Hölle. Aber andererseits habe ich dich noch nie so gelassen erlebt. Ich bin wirklich platt.«
»Stimmt. Manchmal bin ich sogar glücklich. Ich habe nämlich etwas herausgefunden, zu dem mir meine eigenen Erfahrungen mit zwanzig verholfen haben. In Italien. Glück kann nur aus uns selbst kommen.«
Sie ist einen Moment lang sprachlos, doch dann meint sie: »Ich bin wirklich stolz auf dich.«
»Ich auch.«
Aber nicht zu stolz, den ganzen Tag in einem Spaßbad zu verbringen, das ich fünfzehn Jahre lang gemieden habe, und zwar wegen all der übergewichtigen Menschen, die es dort hinzieht und die an Ort und Stelle Junkfood verdrücken. Ich tue das, weil meine Kinder es sich gewünscht haben – allerdings fühlt es sich an wie ein Schock für die Sinne, nach einem Monat Italien mit köstlichem Gelato und dem Gesang von
Nachtigallen. Ich sehe sogar mit eigenen Augen, wie ein Kind im Nichtschwimmerbecken Durchfall bekommt – zum Glück sind meine Kinder gerade nicht im Wasser. Der Bademeister, den ich darauf aufmerksam mache, meint nur: »Das Chlor neutralisiert das schon.« Und alle Kinder planschen einfach weiter. Es gibt wirklich nicht die geringste Verbindung zwischen diesem Vergnügungspark und unseren Vergnügungen in Italien. Und doch, es ist alles bereits da , nicht wahr?
Auch wenn wir uns keinen Fastfood-Exzess leisten, muss ich mir danach etwas Gutes tun. Wie eine typische Amerikanerin gönne ich uns etwas, das eigentlich unsere Mittel übersteigt: Sushi. Wie in den alten Zeiten, als Geld keine Rolle spielte. Nur dass damals hier noch nicht so viele Möglichkeiten geboten waren, es auszugeben. Es kommt mir vor wie ein schlechter Scherz, dass wir dank wohlhabender Großstädter, die hierhergezogen sind, nun endlich auch eine florierende Sushibar am Ort haben. Sie gehört auf die kleine Liste großstädtischer Annehmlichkeiten, die es inzwischen auch an diesem Ort mitten in den Bergen gibt. Heute Abend ist sie genau das, was der Doktor mir empfehlen würde. (Unser Bankberater eher nicht, aber was soll‘s? Warum nicht heute mal über die Stränge schlagen? Das muss doch auch mal drin sein? Was haben Sie sich denn gegönnt, als Sie zum letzten Mal das Gefühl hatten, die Welt um Sie herum ginge in Scherben? Na gut, vielleicht gar nichts, vielleicht gehören Sie ja zu der Sorte Frau, die sich eine Einkaufsliste schreibt, bevor sie zum Supermarkt fährt, und dann tatsächlich nichts anderes in ihren Einkaufswagen packt. Ich bewundere Sie zutiefst.)
Offenbar hat mein Mann sich das Gleiche gedacht, denn während ich mit den Kindern in der Schlange stehe, um unsere Bestellung in Empfang zu nehmen, spüre ich eine sanfte Berührung an meinem Rücken. Es kitzelt, und ich drehe mich
um. Da steht er. Auch er will sich wohl mit Sushi trösten. Ich hätte es wissen können.
»Daddy! Können wir mit dir nach Hause fahren? Bitte!«, betteln sie und scheinen ganz ausgehungert nach ihm.
Ich vergegenwärtige mir, dass Daddys Zuhause immer noch auch das meine ist. Ihres. Unseres. »Ich habe nichts dagegen«, sage ich.
Beide Bestellungen sind gleichzeitig fertig, und er zückt seine Geldbörse und sagt zu der Kellnerin: »Ich übernehme das.« Für mich fühlt sich das so gut an, so schmerzlich gut, dass er immerhin noch bereit ist, für mein Essen zu bezahlen, dass mir auf der Stelle der Appetit vergeht.
Ich sehe zu, wie er beide Tüten nimmt, und es kommt mir vor, als nähme er gleichzeitig ein Stück von mir mit, während er durch die Tür verschwindet. Je ein Kind an jeder Seite, das sich an ihn schmiegt. Ich schwelge in diesem Bild von Einigkeit. Es ist so schön zu sehen, wie unsere Kinder ihren Vater nach Hause locken.
Dann trifft mich die Einsamkeit wie eine Welle. Ich brauche mein vertrautes Rudel, das über diesen kleinen Dreierclub hinausreicht. Eine Mutter oder ein Geschwister. Doch die sind alle weit weg, und bislang wollte ich ihnen nichts von der ganzen Sache sagen. Sie würden sich Sorgen
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