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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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entgegenzukommen, und stellt sich dann wieder schlafend. Nach einigen Stößen halte ich inne, denke an gestern abend, höre die Musik wieder, meine Muskeln entspannen sich, und ich döse weg mit diesen Klängen im Ohr.
     
    Wir saßen in einem Bus, es war klebrig heiß, und es roch nach Orangen, die eine Frau vor uns gerade für ihr Kind schälte, nach kaltem Rauch, Schweiß, Deodorant und ein wenig danach, als hätte sich jemand die Schuhe ausgezogen, um seinen Füßen die Ruhe zu gönnen, die sie schon seit Tagen nicht mehr hatten.
    Ich beugte mich zu Oriana, steckte meine Nase hinter ihr Ohr und atmete tief ein. Fast gleichzeitig machte der Fahrer die Tür auf, und es kam frische Luft in den Bus.
    – Als wir noch klein waren, wollte Elena Stripperin werden, sagte Oriana. Sie stellte sich vor, sie würde auf einer Bühne stehen, und alle würden sie bewundern. Ich will später soo große Brüste haben, sagte sie immer und zeigte mit den Händen etwas, das tatsächlich möglich war. Sie ging zum Ballett, und wenn sie etwas Neues gelernt hatte, zog sie sich abends aus und zeigte es mir. Nackt zu tanzen bereitete ihr großes Vergnügen. Sie wäre gerne eine richtige Tänzerin geworden, aber sie war zu klein und kräftig. Später hat sie wirklich eine Zeitlang als Stripperin gearbeitet, es machte ihr nichts aus, sich so zu präsentieren, sie war irgendwie abgebrüht. Beim Ballett faßt dich ein Mann überall an, und du kannst dich nicht zurückziehen, wenn er dir zu nahe kommt, sagte sie, also lernst du, unempfindlich zu sein. Es hat ihr trotzdem wenig Spaß gemacht.
    – Kann ich verstehen, es macht wahrscheinlich nie Spaß, in der Industrie zu arbeiten.
    – Weißt du, es müßte so etwas geben wie die Arioi früher auf Tahiti. Hast du davon schon mal gehört? Das war eine Art Zirkus, Männer und Frauen zogen von Dorf zu Dorf und gaben freizügige Vorstellungen, die oft in Orgien endeten. Es war eine große Ehre, zu dieser Truppe zu gehören, und nur Leute aus ranghohen Familien wurden aufgenommen. Sie verzichteten auf die Ehe und auf Kinder, um ihren heiligen Aufgaben nachzukommen.
    – Arioi? Das gab es wirklich?
    – Ja. Es gab auch Ledigenhäuser, die nur dazu dienten, daß die Jugendlichen miteinander schlafen konnten. Sex war sehr wichtig, man glaubte, daß er Gesundheit und Wachstum fördere, und fing möglichst früh damit an.
    – Keine Fünfzehnjährigen, die Abend für Abend von ihrem ersten Mal träumen, Arioi, die heilige Peepshow. Hört sich nach einem Paradies an.
    – Ja, zuerst hört sich alles so an, das man nicht kennt. Es gab strenge Regeln. Man durfte im Beisein der Schwester noch nicht mal ein obszönes Wort benutzen, das galt schon als Inzest. Einige Ozeanier lachten über die Missionarsstellung der Europäer und verachteten sie. Bei ihnen kauerte der Mann normalerweise mit aufrechtem Oberkörper vor der Frau. Man stellt sich immer alles zu schön vor, aber ich wäre trotzdem gerne mal bei so etwas dabei, Zeremonien, Rituale, ausschweifende Feste. Es müßte etwas Religiöses haben.
    – Wie Tempelhuren, warf ich ein.
    – Kennst du dich aus damit?
    – Als ich noch viel Yoga gemacht habe, habe ich mich mit diesen indischen Sachen beschäftigt. Und viel, viel geraucht. Es paßte gut zusammen. Meine hanfroten Augen nach innen senkend, lebe ich dich im Rausch, und die Welt habe ich hinter mir gelassen. Bom Shankar. Dir zu Ehren hebe ich mein Dschillum an die Stirn. Om nama Shiva.
    Ich konnte eine halbe Stunde in einer Yogastellung verharren, wenn ich genug Gras geraucht hatte. Meditation war ein Kinderspiel. Es kam mir absurd und dumm vor, ohne Hanf zu meditieren, und vor allem tödlich langweilig. Erst viel später habe ich verstanden, daß ich nicht meditierte, sondern meine Gedanken rasten und nicht zu beruhigen waren. Ich war unfähig, mich zu bewegen, weil ich soviel Unterhaltung im Kopf hatte.
    Damals habe ich gelesen, wie die Erstgeborene dem Gott zum Geschenk gemacht wurde, dem Tempel geweiht, wo sie lesen und schreiben, singen und tanzen lernte und in die Künste der Liebe eingeführt wurde. Als später die Briten die kleinen Mädchen alphabetisierten, gingen die Eltern wie selbstverständlich davon aus, daß sie auch in die Welt des Sex eingeführt wurden. Wie oft habe ich mich im Rausch zu den Prostituierten im Dienst der Götter geträumt. Früher verkehrten wir mit Tempelhuren, heute versehren Stempeluhren unseren Alltag, ich sehe morgens keinen, der abends gut geknallt hat.
    –

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