Ein Spiel, das die Götter sich leisten
Ich dachte an Oktay, was er wohl trieb, wie es ihm ging. Ob er an mich dachte, an unsere Eltern und seine Schwester. Warum er sich nie bei mir gemeldet hatte. Es war doch sonst niemand mehr da. Außer seinem Vater, und den hatte er noch nie gemocht. Ich auch nicht, und vor meinem hatte ich keinen Respekt gehabt, weil er kuschte vor meinem Onkel, weil er Angst hatte vor seinem älteren Bruder.
Joshua und Eileen, sie suchten Erleuchtung. Das hatte ich auch lange Zeit getan, Yoga, Drogen, Meditation, Bücher, Lehren, ich hatte die Weisheit gesucht, die ewige Ekstase, die absolute Leere, Freiheit, Freiheit von Schmerz und Leid und Freiheit von dem Gedanken, frei sein zu wollen. Doch du wirst nicht erwachen, indem du Schriften liest, in denen steht, daß du schläfst. Du kannst dich nicht nach Freud oder Reich oder Ramakrishna oder Buddha verstehen.
Es schien mir falsch, nach Erlösung zu dürsten, das war auch nur ein Geist, dem man nachjagte. Was gab es überhaupt zu erlösen? Und wenn man erlöst war, wovon denn überhaupt? Stellten die sich vor, daß man aus diesem Leben erwachen konnte, wie aus einem schlechten Traum?
Das heilige Kraut hatte mir dabei geholfen, irgendwann aufzugeben. Es ging nicht um Erlösung, es ging um Halt, Verbundenheit und Kontinuität.
Ich sah raus aufs Meer. Wenn das nicht schön war, was dann? Die leichte Brise gerade, der Salzgeruch, das Plätschern. Wenn das nicht schön war, was dann? Diese Türme, die ich gebaut hatte und die mich an vollgetropfte Flaschenhälse erinnerten, in die man schon seit langer Zeit Kerzen steckte. Die waren mir gut gelungen, die waren schön. So müßte man leben, als Fischer in warmen Meeren, mit einer Hütte und einem kleinen Boot. Man würde das Netz auswerfen in die Schatzgründe der See, die Götter würden die Rätsel aufgeben, in unerhörter Fülle, verborgen unter roten Riffen, in den Meeresgärten und kristallenen Gründen. Keins würde man lösen und trotzdem glücklich sein.
Ich ging schwimmen.
Als ich zurückkam, beendete Oriana gerade die Geschichte von der Verbrennung des gelben Buches und sagte, daß sie auch nicht den Schleier hatte lüften können, den ihr die Götter auf die Augen gelegt hatten. Die beiden schienen enttäuscht, wollten sich aber unbedingt die Karten legen lassen.
Ich saß nun in Reichweite von Joshuas Hand, er legte sie auf mein Knie und bat mich mit seiner weichen, wohltönenden Stimme zu erzählen, wieso ich als Rapper gescheitert war. Eileen lag jetzt auf der Seite, den Kopf in die Armbeuge gebettet, immer noch im Schatten, und ich sah erneut zwischen ihre Schenkel. Ich hatte nicht geträumt. Eine kleine, nackte Möse. Mein Blick wanderte zu Eileens Füßen, das war unverfänglich. Ihre Nägel waren in einem matten Aprikosenton lackiert, der gut zu ihren Haaren paßte.
– Ich hatte jemand, der mir ein paar Beats auf seinem Computer gebastelt hat, fing ich an, sicher nichts Weltbewegendes, aber warme Bässe, guter Groove. Darauf habe ich gerappt. Nächtelang habe ich Texte geschrieben, wenn ich müde wurde, mir die Augen feste gerieben und davon geträumt, Schecks zu kriegen und Sex und Beck’s und Parties, daß die Fetzen fliegen, doch ich bin leider nur ein Knecht geblieben, der den Klang der Worte liebt und sich freut, daß es Hanfimporte gibt. Ich sprach normal weiter.
– Wir hatten ein Demo, fünf echt gute Tracks, aber wir haben keinen Vertrag bekommen. Ich fand mich gut, und jeder Hanspeter hatte ein Album draußen, manche konnten sogar rappen, hatten aber nix zu sagen. Ich rauch mehr Gras als du, ich freestyle und rappe besser, alle anderen sind whack mc’s und ich habs echt drauf und zieh mich für keine Frau aus. 16 Tracks, jedesmal der gleiche Text: mein Schwanz ist länger als deiner. Ich habe nie zur Szene gehört, ich war nie auf einer Jam, ich hab mich nie für Graffiti oder Breakdance interessiert, für die Klamotten und das dogmatische Gehabe. Ich hatte aber Geschichten, ich dachte, die Menschen wollen auch mal Balladen hören, Erzählungen in Reimform, aber es gab nur Absagen. Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr.
– Ein guter Kämpfer ist der, der immer wieder aufsteht, sagte Joshua und lächelte milde.
Diese sanfte Art gefiel mir nicht.
– Ich bin kein Kämpfer, das Leben ist doch kein Krieg, den man gewinnen muß. Solange ich Lust hatte, habe ich mich bemüht, und danach mochte ich nicht mehr.
Er biß sich auf die Unterlippe und schien nachzudenken. Ich war mir nicht sicher, ob
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