Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
umgesehen. Ich habe versucht, irgendeinen Hinweis zu finden, irgendeine Spur. Aber es gibt keine Spuren. Es ist, als habe der Kerl nie existiert. Und es gibt auch verdammt keinen Grund, warum diese Dinge überhaupt geschehen sollen.«
Marcus hielt ein Stück Papier hoch. »Doch, den gibt es.«
Es war die Liste. Die Liste der Gesellschaften, die Marcus veranlasst hatte, sich in den letzten Wochen auf diese bis jetzt nicht besonders erfolgreiche Jagd zu begeben. »Warum könnte jemand sich diese Gesellschaften zum Ziel nehmen?«, fragte er.
»Weil sie von Leuten veranstaltet werden, die für ihren Patriotismus bekannt sind«, vermutete Byrne.
»Nein, sind sie nicht«, widersprach Marcus. »Sieh doch die nächsten beiden Ereignisse auf der Liste, den Gold-Ball im Regent’s Park und den Benning-Ball. Da gibt es keinen besonders starken Patriotismus. Ich glaube vielmehr, dass wir diese Liste in zwei Teile teilen müssen.« Marcus riss das Papier genau in der Mitte entzwei.
»Oh!«, stieß Byrne aus, »das war unser Beweis.«
Aber Marcus gönnte ihm noch nicht einmal einen Blick über den Rand seiner Brille. »Die ersten beiden«, fuhr er fort, »also das Bankett bei den Whitfords und die Gesellschaft bei den Hampshires, waren höchst patriotische Ereignisse. Aber es ist noch viel bedeutender, dass die Gastgeber dieser Feste in großem Stil vom Krieg profitiert haben.«
Byrne nahm sich die erste Hälfte der Liste. »Stimmt. Whitford mit seiner Waffenschmiede und Hampshire mit seinen Pferden und den Ställen gehörten zu den bedeutendsten Lieferanten der Armee.«
»Und seit dem Ende des Krieges gehen ihre Geschäfte deutlich schleppender.«
»Aber sie sind nicht ganz zum Stillstand gekommen. Um Himmels willen, Frankreich halten wir immer noch besetzt. Gewehre und Pferde werden immer noch gebraucht«, erklärte Byrne. »Falls Laurent es darauf abgesehen hat, der britischen Armee zu schaden, indem er Whitfords und Hampshires Lieferungen nachjagt, scheint er sich sehr getäuscht zu haben.«
»Stimmt genau!«, rief Marcus. »Was hat er schon groß angerichtet? Er hat zwei Pistolen und ein paar Pläne gestohlen. Er hat eine Scheune niedergebrannt. Aber es ist doch so, dass es darüber hinaus noch Hunderte weiterer Ställe in Privatbesitz gibt, die die Armee versorgen. Und es ist doch so, dass von Whitfords Plänen leicht ein Duplikat hergestellt werden kann. Laurents Taten sind eher eine lästige Bagatelle, als dass sie eine echte Störung darstellen.«
»Aber er hat dich angeschossen«, brummte Byrne.
Mit einer Handbewegung wischte Marcus diesen Einwand fort. »Ich bin ihm in die Quere gekommen«, sagte er und stand auf. »Er hat Whitford und Hampshire nachgejagt, weil sie in der Lage sind, viel Lärm zu schlagen. Denn beide sind einflussreiche Mitglieder der Gesellschaft. Hampshire hat eine Stimme im Oberhaus. Wer die beiden ärgert, genießt den Vorteil, dass sie ihr Niveau antifranzösischer Rhetorik im Parlament wieder verschärfen.«
Kaum hatte Marcus zu Ende gesprochen, umrundete er hastig den Schreibtisch und griff nach der aktuellen Ausgabe der Times . Er suchte einen bestimmten Artikel, fand ihn und reichte das Blatt an Byrne weiter.
Der Vorfall auf dem berühmten Fest bei Lord Hampshire am vergangenen Wochenende war durch das gekennzeichnet, was Lord Hampshire selbst den ›froschbeinigen‹ Versuch genannt hat, ›einem unbeugsamen britischen Unternehmen den Garaus zu machen‹. Er behauptet, dass der unglückselige Brand von französischen Agenten in Szene gesetzt und von der französischen Regierung autorisiert worden ist.
Der Direktor des Kriegsamtes Seiner Majestät, Lord Fieldstone, hat keine Verlautbarung erlassen, die solcher Behauptung widerspräche, ebenso wenig wie anlässlich der jüngsten, ähnlichen Anschuldigung von Lord Whitford betreffs seiner verpfuschten Gesellschaft. Gerüchte aus den ehrwürdigen Hallen von Whitehall besagen, dass Lord Fieldstone die Anschuldigungen durchaus ernst nimmt, insbesondere seit der Auflösung des französischen Parlaments durch den Premierminister Duc de Richelieu.
»Wenn du die Gesellschaftsseiten liest, wirst du feststellen, dass die französischen Exilierten direkt ins Visier genommen werden«, sagte Marcus und deutete auf die folgende Seite. »Diese antifranzösische Stimmung vergiftet die Salons. Nicht mehr lange, bis die Mittelschichten und die Dienerschaften sich anschließen. Dann braucht es nur noch einen einzigen Vorfall wie diesen, und wir
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