Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Phillippas Kleid.
Mit Byrnes Hilfe hatte Marcus sein Aussehen so gut wie möglich aufpoliert; sie hofften, dass seine Blässe und seine Benommenheit als Folge zu übermäßigen Alkoholkonsums am Vorabend gewertet würde. Eingedenk der frühen Stunde würden ohnehin nur wenige Gäste auf dem Korridor sein. Außerdem mussten sie es nur die Treppe hinunter in die Halle und dann zur Tür hinaus schaffen.
Unglücklicherweise war einer dieser wenigen, auf die sie stießen, ihr Gastgeber. Lord Hampshire hatte den noch im Halbschlaf befindlich scheinenden Lord Sterling und den besorgt dreinblickenden Crawley oben auf der Treppe abgefangen.
Sterling sah aus, als habe man ihn aus dem Bett gerissen, Hampshire dagegen, als sei er in seins gar nicht erst hineingekommen. Was aber auch kein Wunder war, hatte doch seine Hausgesellschaft mit dem katastrophalen Brand seiner Ställe geendet. Crawley war bereits für den Tag gekleidet, sah aber auch aus wie jemand, der nur wenig Schlaf bekommen hatte.
»Dem Himmel sei Dank, die Pferde konnten gerettet werden«, ereiferte sich Hampshire, »aber wenn du glaubst, ich verzichte darauf, diese Sache vor die nächste Versammlung zu bringen oder vor deine Vorgesetzten im Ministerium, dann bist du wahnsinnig!«
»Bernard, beruhige dich. Es war ein Unfall. Es kann gar nichts anderes sein«, sagte Sterling beschwichtigend und gähnte.
»Das hier«, Hampshire fuchtelte mit einem Stück Papier vor Sterlings Nase herum, »ist kein Unfall!«
»Sir, Lord Hampshire ist zu Recht besorgt, besonders wenn man bedenkt … «, warf Crawley ein, drehte sich dann aber um.
In diesem Moment bemerkten die Gentlemen, dass sie nicht allein auf der Treppe waren. Sowohl Hampshire als auch Sterling wandten sich um, als Marcus, gestützt von Byrne, sich näherte.
»Vielleicht sollten wir unser Gespräch lieber später fortsetzen«, konnte Marcus Sterling murmeln hören. Aber Lord Hampshire wollte davon nichts wissen.
»Ah! Mr. Worth und, äh, Mr. Worth, Sie sind doch beide in der Armee«, fing der Lord in der Absicht an, die beiden Neuankömmlinge auf der Treppe von seiner Ansicht zu überzeugen, »nach der Angelegenheit gestern Abend habe ich das hier an die Tür meines Hauses geheftet gefunden.«
Er hielt Marcus und Byrne das Papierstück unter die Nase. Ohne Brille und noch immer unsicher auf den Beinen musste Marcus sich zwingen, sich auf das Papier zu konzentrieren. An den Ecken war es – vermutlich absichtlich – versengt, und in der Mitte stand ein einziger hingekritzelter Satz: Vive la France.
Recht klar ausgedrückt, dachte Marcus.
»Wer hat es gefunden?«, fragte er mit schwacher Stimme.
»Ich«, meldete sich Crawley. »Das hat bestimmt etwas zu bedeuten, Mr. Worth, und wir haben ja lange Zeit miteinander gearbeitet. Die Worte sind eine schreckliche Provokation, und … «
Byrne nahm die Bürde des Gesprächs auf sich. »Ich glaube eher, dass es sich um einen Narrenstreich handelt. Denken wir an das Durcheinander auf dem Bankett der Whitfords … er hat doch auch den Franzosen die Schuld in die Schuhe geschoben, nicht wahr?«
»Ganz genau! Es ist, als wollten sie, dass wir wieder bei ihnen einmarschieren und ihren französischen Hintern bis ans Mittelmeer zurückprügeln!«, spie Lord Hampshire aus.
»Bernard, nur weil wir daran gewöhnt sind, sie als Feinde zu sehen, heißt es noch lange nicht, dass sie es auch tatsächlich noch sind«, erläuterte Sterling vernünftig. »Aber ich habe einfach nicht genügend Schlaf bekommen.« Mit betontem Blick auf die Worths, besonders auf Marcus, fügte er hinzu: »Und wenn ich Sie zwei so betrachte, dann möchte ich behaupten, dass Sie auch noch ein oder zwei Stündchen gebrauchen könnten.«
»Allerdings, das könnten wir«, stimmte Marcus mühsam zu. »Ich habe gestern in der Tat ein Gläschen Spaß zu viel getrunken.« Er zwang sich zu seinem verwegensten Lächeln. »Aber der Schlaf muss warten, bis wir wieder in London sind.«
»Sind Sie sicher, dass das eine kluge Entscheidung ist? Mr. Marcus, ganz besonders Sie sehen reichlich lädiert aus«, bemerkte Sterling und durchbohrte ihn mit bemerkenswert hellem Blick.
»Unser Bruder erwartet uns«, knurrte Byrne, »und unsere Schwägerin wird uns den Kopf abreißen, wenn wir nicht pünktlich sind.«
Marcus und Byrne verbeugten sich unter Schmerzen, aber formvollendet, und gingen weiter die Treppe hinunter.
Es kostete Marcus seine ganze Selbstbeherrschung, sich im Gleichgewicht zu halten und nicht
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