Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Graham gelungen, ihn zu vielen ihrer Ausflüge mitzunehmen. Dabei handelte es sich allerdings um kleinere, weniger verheißungsvolle Unterhaltungen als die bei den Fieldstones oder bei Almack’s. Die Tatsache, dass ihm Zutritt zum Almack’s gewährt worden war, konnte er als Meisterleistung verbuchen, als großes Glück und als Ergebnis einer Trickserei, das sich höchstwahrscheinlich nicht wiederholen würde.
Kaum war er im Almack’s gewesen, hatte man ihm die Orangenlimonade über das Hemd geschüttet.
Eine einzigartige Erfahrung.
Gegen diese Kehrtwende der Ereignisse hatte Marcus wirklich nichts zu sagen, denn sie erlaubte es ihm, früh und aus ebenso wichtigem wie unvergesslichem Grund zu verschwinden. Und wieder hatte er Glück, weil Grahams Haus zu Fuß zu erreichen war (wie unangenehm Fußwege in London auch sein mochten), wo er sich von Grahams verblüfftem Diener ein überzähliges Hemd besorgte.
Als Nächstes war er bei den Fieldstones aufgetaucht, bei jener Party, auf die er die ganze Woche gewartet hatte, weil er um eine Privataudienz beim Direktor des Kriegsamtes gebeten hatte. Und während er darauf wartete, dass die Zeit verstrich, war er über Mrs. Phillippa Benning gestolpert , die Millionenerbin, die vor Ort offenkundig als eine Art Göttin angebetet wurde , und gleichzeitig ein Kind mit Süßigkeiten bestach, diesen aufgeblasenen Idioten Broughton für sie auszuspionieren.
Während er dann untätig darauf warten musste, dass der Direktor durch die Türen der Bibliothek der Fieldstones trat (keine einfache Sache, denn der Direktor war ebenso breit wie groß), wurde die Tür von jemandem geöffnet, der offenbar keine Ahnung hatte, dass das Schloss zu klemmen pflegte, und dessen Silhouette unerwartet klein war. Daher hatte er sich an dem einzigen Ort versteckt, der an diesem vollgestopften Platz infrage kam: im Sarkophag.
Und dann war Phillippa Benning auf ihm gelandet.
Einzeln betrachtet, waren die Ereignisse des Abends natürlich nicht so schrecklich beeindruckend, aber alles auf einem Haufen war es doch äußerst ereignisreich.
Die Unterhaltung zwischen Mrs. Benning und ihrer Beute Broughton, deren Zeuge Marcus geworden war, ließ der Fantasie wenig Spielraum. Und was kurz darauf auf ihm gelandet war – nun, das ließ der Fantasie noch weniger Spielraum.
Es knackte geräuschvoll, als Phillippa Bennings linker Knöchel quer auf seinem Kopf landete. Und so landete ihr Kopf auf seinem Schenkel, während ihre Gestalt sich genau wie seine in den engen Sarkophag quetschte. Als er in den Sarkophag gestiegen war (den historisch unpassenden Angeln, die Fieldstone angebracht hatte, sei Dank!), freute er sich darüber, dass er nur ein paar überschüssige Stofflappen beherbergte, die seinen Aufschlag abmilderten. Alte Ägypter waren dort nicht mehr zu Hause.
Offenkundig waren alte Ägypter jedoch schmaler als moderne englische Männer, und da Marcus zudem etwa einen Kopf größer war als besagte moderne Engländer, war der Ort nicht besonders einladend. Mit einer weiteren Person wurde es ausgesprochen eng.
Sie trug Seidenstrümpfe. Keine große Überraschung, das taten die meisten wohlhabenden Ladys – aber an seinen Wangen empfand er sie doch als beunruhigend. In der steinernen Gruft war es nahezu schwarz vor Dunkelheit. Das wenige Licht, das durch den Spalt zwischen Deckel und Sarkophag ins Innere drang, gab eine sehr feine, elfenbeinfarbene Stickerei zu erkennen, die sich über Phillippas Knöchel wand, was Marcus aus unbestimmten Gründen ein Lächeln auf die Lippen zauberte – aber nur ein kleines. Ihr weiches Hinterteil war allerdings auf einer irgendwie unpassenden Stelle gelandet. Oder auf einer passenden, das hing davon ab, wie man es sehen wollte.
Marcus ließ den Blick schweigend über Phillippa schweifen und suchte ihre Augen. Und als er sie gefunden hatte, schimmerten sie zart in tiefem Dunkel und waren vor Schreck weit aufgerissen.
Immer noch schweigend und verzweifelt legte er sich den Finger auf den Mund und flehte sie an, den zugegebenermaßen berechtigten Schrei zu unterdrücken. Einen Moment später nickte sie, was es Marcus gestattete, den Atem aus den Lungen zu stoßen, von dem er gar nicht bemerkt hatte, dass er ihn anhielt. Der Atem fing sich im Saum ihres Kleides, irgendein fließendes, filigranes Gewebe, und ließ es flattern. Noch bevor sie auf die Empfindung mit aufgerissenen Augen reagieren konnte, hatte draußen am Sarkophag ein Gespräch begonnen.
»W… oh,
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