Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
angemessen hielt.
Sie holte aus und verpasste ihm eine Ohrfeige.
11
Nun, um ehrlich zu sein – er hatte es nicht anders verdient.
Marcus konnte nicht sagen, was eigentlich über ihn gekommen war. Sie hatten sich doch nur unterhalten, ein bisschen geflirtet, als er die Unterhaltung von ihrem lächerlichen Vorhaben weggelenkt hatte. Aber plötzlich war aus ihrer Stimme der lockende Ruf einer Sirene geworden, Kerzenlicht hatte über ihre Haut gespielt, und ihm waren Dinge durch den Kopf gegangen, die ihm nicht durch den Kopf hätten gehen sollen.
Und dann hatte er gehandelt. Impulsiv. Man konnte Marcus Worth vieles nachsagen, aber niemals, wirklich niemals, dass er impulsiv handelte.
Allerdings ist Phillippa auch ganz anders, als ich erwartet hatte, dachte Marcus. Er zitterte vor Kälte, denn er stand in einer engen, gewundenen Gasse in einer der weniger begehrten Wohnlagen von Whitechapel. Ein geflickter, abgewetzter Mantel war das Einzige, was ihn vor dem für die Jahreszeit ungewöhnlichen Frost schützte. Weil er auf ein Signal aus dem zerbrochenen Fensterschlitz auf der anderen Straßenseite wartete, hatte er unglücklicherweise nichts Besseres zu tun, als seinen Gedanken freien Lauf zu lassen – und diese Gedanken hatten unglücklicherweise nichts Besseres zu tun, als zum vergangenen Abend zu schweifen.
Aus der Distanz betrachtet und innerhalb der Zwänge, die die Gesellschaft aufstellte, schien Phillippa Benning zu den schlaueren, gerisseneren Frauen zu zählen, zu jenen, die schon von Geburt an begünstigt waren und ein Vermögen besaßen, welches ihnen nicht nur ihren gegenwärtigen Lebensstandard erlaubte, sondern auch ihr provozierendes Verhalten. Frauen, die normalerweise ihre Zeit nicht an ihn verschwenden würden und denen er im umgekehrten Fall keinen zweiten Gedanken widmen würde. Aber in der Unterhaltung mit Phillippa Benning hatte sich dann deren überraschender Sinn für Humor gezeigt, und ihr Witz erwies sich als … verführerisch. Oh, er wollte gar nicht abstreiten, dass sie eine außergewöhnlich schöne junge Frau war; aber er hatte auch gedacht, dass ihre Schönheit durchaus ihre Ecken und Kanten besaß, eher so, als ob sie sich über die Maßen auf Hochglanz poliert habe. Schon während ihres Intermezzos im Sarkophag war seine Einschätzung teils zunichte gemacht worden, und der Rest hatte sich verflüchtigt, als sie sich vollkommen unabsichtlich zu ihm gelehnt und ihren Mund für ihn geöffnet hatte.
Die Erinnerung zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen – bis sie durch die Erinnerung an den wohlplatzierten Schlag auf seine Wange verdrängt wurde.
Nun, wie bereits erwähnt, er hatte es nicht anders verdient.
Nach diesem Zwischenspiel hatte er Phillippa Benning den Ladys zurückerstattet, wo sie noch ein paar Minuten geblieben war, bevor sie sich mit der Entschuldigung verabschiedet hatte, dass Mrs. Tottendale und sie sonst zu einer anderen Verabredung zu spät kommen würden. Sie überließ Mariah ihren Verzückungen über Mrs. Bennings Eleganz, über deren Kleid und deren Manieren, überließ sie ihren sorgenvollen Bemerkungen, wie sie selbst sich wohl benommen hatte und ob sie wohl irgendjemanden beleidigt hatte und ob ihre Waisenkinder wohl profitieren würden. Inzwischen musste Marcus die nächsten Schritte hinter sich bringen, musste sich um das kümmern, was ihn hierhergeführt hatte und ihn an diesem unnatürlich kalten Frühlingstag draußen herumstehen ließ, um auf die verdammte Lampe im Fenster warten – und das alles in einem Teil der Stadt, in die kein ehrenwerter Mensch sich jemals verirren würde.
Karren, die mit den gehäuteten Kadavern gemästeter Lämmer überladen waren, rollten die Straße entlang. Aus den Körpern tropfte Blut auf das Kopfsteinpflaster und glänzte rot in den Vertiefungen zwischen den Steinen. Frauen, die sich seit Langem an den Alkohol verloren hatten, boten im hellen Tageslicht das an, was von ihrer Ware noch übrig war, wurden von Männern genommen, die sie für Minuten gebrauchten, um die Abgründe ihres eigenen Lebens zu vergessen. Ob Marcus nun zum ersten oder zum tausendsten Mal in dieser Gasse stand, der Anblick würde sich nie ändern. Gedankenverloren rieb er sich den Oberschenkel. Ständig stieß er sich das Knie an diesem verdammten Schreibtisch, den sie ihm für sein Büro zur Verfügung gestellt hatten. Was auch immer Fieldstone behauptete, nach Abenteuern gierte er, Marcus, ganz gewiss nicht. Nein, er sehnte sich wahrlich
Weitere Kostenlose Bücher