Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
schweifen, ganz so, als habe er etwas anderes zu tun, als sich mit ihr zu unterhalten.
Philippa spürte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Was hatte er damit gemeint? Dass sie nicht gut genug war, sich mit seinem Bruder blicken zu lassen, oder umgekehrt? Das eine war eine Beleidigung, das andere passte nicht zu ihrer gegenwärtigen Stimmung. Aber glücklicherweise wurde in diesem Moment das Essen angekündigt, und da Broughton noch nicht nach unten gekommen war, wurde Marcus gestattet, Phillippa in den Speisesaal zu begleiten. Sein Bruder folgte ihnen.
»Marcus«, Phillippa nutzte die Gelegenheit, ihm ein paar Worte zuzuflüstern, »ich habe die Augen offen gehalten, ob jemand Unbekanntes hier ist, aber ich habe niemanden entdecken können. Unten bin ich natürlich noch nicht gewesen … « Sie schaute kurz auf seine Hand und schob ihre in seinen angewinkelten Ellenbogen. »Dieses Anwesen ist einfach riesig. Er könnte sich überall verstecken«, fuhr sie fort, »in den Ställen, im Irrgarten, auf dem Vorhof, in der Jagdhütte … «
»Byrne und ich machen heute Nacht eine Durchsuchung, sobald die Gäste alle schlafen. Aber ich habe meine Zweifel, dass vor morgen irgendetwas geschieht.«
Phillippa war der Meinung, dass Byrne sich kaum aufrecht halten, geschweige denn auf Patrouille gehen konnte, aber sie sagte nichts.
»Warum morgen?«
»Weil dann das größte Durcheinander herrschen wird. Und wenn die Party erst einmal angefangen hat, werden viele Leute vermutlich trinken und in der Wachsamkeit nachlassen«, wisperte er zurück und lehnte den Mund dicht an ihr Ohr. Sie konnte seinen warmen Atem in ihrem Nacken spüren, seinen Atem, der ihre weichen Locken streifte.
Sie schaute sich um und fing Byrnes Blick auf, der sie durchdringend musterte.
»Marcus«, hauchte sie, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals, »ist Ihr Bruder Byrne eigentlich vertrauenswürdig?«
»Bedingungslos«, entgegnete Marcus unverzüglich und klang leicht gekränkt.
»Ich meinte … will sagen, weiß er Bescheid über … «, sie senkte die Stimme sogar noch tiefer und machte kaum mehr als Lippenbewegungen, »… Blue Raven?«
Marcus schaute sie an. Für den Bruchteil einer Sekunde fing er ihren Blick auf. »Ja«, gab er zurück, »und außer ihm niemand.«
Das Dinner war eine fröhliche Angelegenheit, jedenfalls für diejenigen, die keine anderen Sorgen hatten als die Wette, welches Pferd das Rennen der Dreijährigen morgen gewinnen oder welcher Gehrock in der morgendlichen Sonne am Rennpavillon wohl am besten aussehen würde. Aber für jene drei am Tisch, die doch andere Sorgen hatten, war es eine Quälerei, ein langsamer Tanz kontrollierter Bewegungen, um nicht wahnsinnig zu werden.
Phillippa, deren Sorgen höchstwahrscheinlich am größten waren, trug die Maske allergrößter Selbstbeherrschung, denn sie war es gewohnt, ihre Gefühle zu verbergen, wenn sie in Gesellschaft war. Sie war Broughton, der so gnädig gewesen war, gerade noch rechtzeitig zum ersten Gang zu erscheinen, gegenüber platziert worden. Aber nachdem er seiner Gastgeberin ein Lächeln geschenkt hatte, wurde ihm die Verspätung als großmütig verziehen, und er richtete seinen seelenvollen Blick auf Phillippa. Er verfügt wirklich über untadelige Manieren, dachte sie stumm für sich, als er sich elegant auf den Stuhl sinken ließ. In seinen Blick zog ein kaum spürbares Zwinkern ein; obwohl Phillippas Gedanken sich mit weitaus ernsteren Dingen herumschlugen, schlich sich unwillkürlich ein Lächeln auf ihre Lippen. Er ist wie ein Junge, dachte sie, all dieser spitzbübische Charme und das Selbstvertrauen. Aber obwohl ihr Tischnachbar beim Dinner praktisch aus nichts anderem bestand als aus charmantem Lächeln, brach ihre Unterhaltung immer wieder ganz leicht ein, weil Phillippa versuchte, alle Gesichter am Tisch zu registrieren.
Mrs. Hurston, ihren Turban, und Thomas Hurston, den Sohn, die beide noch nie etwas mit Außenpolitik zu tun gehabt hatten.
Lord und Lady Overton, die, wenn das Gedächtnis sie nicht im Stich ließ, vor einiger Zeit für zwei Jahre in Griechenland gelebt hatten; konnte es sein, dass sie politisch sympathisierten?
Die Quayles, die Finches, Lord und Lady Huffington, die ihren Freund Mr. Crawley mitgebracht hatten, Lord Sterling und Penny, zusammen mit den Dunninghams, die Clovers … allesamt Menschen, mit denen sie bekannt war und die sie nicht verdächtigen konnte!
Da Marcus unglücklicherweise so weit von ihr entfernt saß,
Weitere Kostenlose Bücher