Ein Staatsgeheimnis Am Rhein
Gästen optisch abzuheben. Sie deckten die Tafel: erlesenes Porzellan, Blumen die Fülle und auf Hochglanz poliertes Silber, dazu Kristallkaraffen und geschliffene Wassergläser, denn den Wein hatte der Prophet untersagt.
Die deutschen Betreuer aus dem Ministerium hatten jedoch unmißverständlich durchblicken lassen, daß bei dem sich anschließenden gemütlichen Teil in der Lounge nicht auf aqua ardens aus der Charente oder dem Schottischen Hochland verzichtet werden sollte. Nur möge man bitte aus Karaffen oder Krügen servieren, die auf Wasser oder Fruchtsäfte schließen ließen.
Lord Nelson kannte die Usancen, und seine Schäfchen kannten sie auch. Allerdings blieb immer zu befürchten, daß Evelyns kunstvoll komponierte Rechnungen von den exotischen Gästen nicht bezahlt, sondern kurzerhand an die deutschen Gastgeber weitergereicht würden. Dann stand für diese Ärger mit dem Rechnungshof ins Haus. Um die sich daraus mit Sicherheit ergebenden Komplikationen nicht zu groß werden zu lassen, durften die Lämmchen in dieser Nacht selbst kassieren. Jetzt mußte sich zeigen, ob Mylords Grundsätze zur Wahrung der inneren Disziplin funktionierten.
Die Träger der schwarzweiß gestreiften Querbinder hatten, so schien es, den Service nicht gerade beim Captainsdinner gelernt. Doch sie gaben sich Mühe. In den Jackenärmeln spielten Muskelpakete, und die Drehungen von Rumpf und Schulter ließen Boxerqualitäten erkennen. So war im »Sonnentiegel«, wenn auch nicht immer für Gesetz und Recht, so doch stets für Ordnung gesorgt. Polizei war noch nie herbeigerufen worden, wenn ein Gast Schwierigkeiten machte. Das Haus hatte einen guten Ruf!
Andreas genoß das Essen. Zum Auftakt Junglachsmedaillons und dazu aus der besten Ecke des Kellers einen trockenen Ayler Kupp. Leicht stimulierend die Rebhuhnkraftbrühe und dann die Fasanenbrust »Royal«. Er sagte nicht nein, als hierzu eine Spätlese vom Weinsberger Schemelsberg angeboten wurde. Nach dem Mokkaparfait mit Borkenschokolade noch einen Grand Marnier zum langsamen Genuß. Den Kaffee mit glasiertem Feingebäck ließ Andreas sich in der Lounge servieren. Evelyn setzte sich zu ihm.
»Mach bitte keinen Fehler, Andreas. So glatt laufen die Geschäfte in unserer Branche nicht. Mylord hat jeden von uns in der Hand. Hoffentlich jetzt nicht auch dich!«
Falkenhorst legte ihr den Arm um die Schulter: »Kind, gutes, ich kann euch doch nicht im Stich lassen – und was würde dann aus mir werden?«
Aus der oberen Etage waren Angelina, Bettina und Cordula heruntergekommen und begrüßten Andreas wie immer herzlich und mit Küßchen. Dorothee und Fabiola durften sich Zeit lassen mit ihrem Erscheinen, denn die Gäste sollten nicht den Eindruck gewinnen, als würden sie der Damen wegen erwartet. Die Präsentation der Reize dieser Geschöpfe wie Milch und Blut würde in so gediegener Form erfolgen, daß auch die Weisen aus dem Morgenlande auf weitere Offenbarungen scharf werden mußten. Freddy Nelson war stolz auf seine sorgfältig ausgesuchte »Crew« – zumindest ihr Aussehen war makellos!
Draußen hielten drei schwarze Limousinen. Die Delegues stiegen aus, und die Fahrzeuge fuhren sofort wieder davon. Das ließ auf einen geplanten längeren Aufenthalt schließen. Minuten später herrschte im »Sonnentiegel« Jubel, Trubel, Heiterkeit. Evelyn hatte schnell ihren Kommandostand aufgesucht und war gleich der »Knotenpunkt der Bar«. Ihre wiedergewonnene Fröhlichkeit wirkte ansteckend. In kürzester Zeit waren alle Barhocker besetzt, und die Aperitifs mußten so hochprozentig sein, daß nachher ein wenig Wasser bei Tisch nicht schaden konnte. Wer an diesem Abend martialische Erscheinungen in wallenden Djellabas und von der Wüstensonne gegerbte Gesichter unter Kotra und Akal erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Gekommen waren glatte Gentlemen in bestem englischen Tuch, die durchaus zu beurteilen wußten, was ihnen im »Sonnentiegel« geboten wurde. Nach drei Tagen Verhandlungen mit trockenen deutschen Technokraten würden die Stunden in diesem Hause ganz gewiß zu den stärksten und bleibenden Eindrücken ihrer Reise nach Good Old Germany gehören.
Das Essen fand Beifall und Zuspruch, wurde aber nicht so gewürdigt, wie Lord Nelson und sein Küchenchef Beppino es wohl erhofft hatten. Die Flüssigkeit in den Wasserkaraffen hatte nur wenig abgenommen, als der offizielle Teil des Arbeitsessens mit den wechselseitigen Dankesworten und dem unvermeidlichen Toast auf das persönliche
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