Ein Stern fliegt vorbei
entschuldigte sich, daß er sie nicht noch einmal gewarnt hatte, aber Yvonne sah sich bereits auf der Station um. Von der nicht sehr hohen Halle, die irgendwo tief unter der Mondoberfläche lag, gingen beiderseits der Rinne, in der der Wagen stand, Gänge ab, die sogenannten Straßen, wie der Begleiter erklärte.
„Die Tür dort, das ist der Lift“, sagte er. „Wir haben hier zwei Stockwerke. Wir bleiben aber in dieser Etage. Hier entlang, bitte!“
Sie folgten einem breiten Gang, dessen Decke indirektes Licht ausstrahlte und dessen Wände aus einem Material mit einer sehr weich und warm wirkenden Oberflächenstruktur gestaltet waren. Sie schritten auf das Ende des Ganges zu, da wich die Stirnwand zurück und verschwand in den Seiten. Dahinter führte die Straße weiter, war aber ganz anders gestaltet, Pflanzen standen an den Seiten, Kopien berühmter Kunstwerke luden zur Betrachtung ein. Yvonne drehte sich um – lautlos hatte sich die Trennwand wieder geschlossen.
„Die Straßenabschnitte ersetzen uns die Klubräume“, erklärte der Begleiter. „Möbel brauchen wir kaum, weil auf dem Mond das Stehen fast so bequem ist wie auf der Erde das Sitzen. Aber Sie werden finden, daß jeder Abschnitt seinen besonderen Charakter hat.“
Er sprach und redete und erklärte, und Yvonne war ihm dankbar dafür, daß er gar nicht zu bemerken schien, wie schwer es ihr fiel, auch nur halbwegs normal zu gehen. Anscheinend hatte er Erfahrung mit Mondneulingen.
Sie war froh, als ihr Begleiter vor einer Tür stehenblieb und einen Knopf drückte. Aber dahinter lag nur wieder ein Gang, schmaler allerdings, nur etwa so breit wie ein normaler Korridor auf der Erde, nüchtern, mit vielen Türen. Vor einer blieb er stehen, zeigte ihr eine Taste und bat sie zu drücken.
Sie tat es. Die Tür wich geräuschlos zur Seite.
„Dies ist Ihr Zimmer“, sagte der Begleiter mit einladender Geste. Yvonne bewegte sich vorsichtig durch die Tür. „Wie wird man bloß das Hüpfen los?“ seufzte sie.
„Am besten durch Gymnastik“, riet der junge Mann, informierte sie über die wichtigsten technischen Einrichtungen des Observatoriums und zog sich dann zurück.
Yvonne blickte sich um. Wie wohnt man auf dem Mond? Sie war etwas enttäuscht, weil das Zimmer einen ausgesprochen irdischen Eindruck machte, aber dann sagte sie sich, daß das bei längerem Aufenthalt natürlich ein Vorteil sein müsse. Aber wie kommt dieser Eindruck zustande? Richtig – das Licht! Geschickt gemacht, Donnerwetter!
Eine Wand des Zimmers war aus Glas, dahinter eine Art Wintergarten, voller Pflanzen, und wiederum dahinter die Lichtquelle – eine leuchtende Wand. So war der gewohnte Blick aus dem Fenster, den es hier ja nicht geben konnte, auf eine sehr irdische Weise ersetzt.
Yvonne entkleidete sich – auch das mit komischem Ungeschick – und stellte sich dann ruhig und aufrecht hin. Nach einigen Minuten der Konzentration begann sie mit Arm- und Rumpfschwingen, ging darauf zu anstrengenderen Übungen über, lockerte sich wieder und gewann so allmählich Maß und Beherrschung ihrer Bewegungen unter den neuen Bedingungen. Ein rhythmischer Tanz, mit dem sie ihr Training abschloß, gelang ihr zwar noch nicht, aber sie war fürs erste mit dem Ergebnis zufrieden, nahm die kosmetische Luftdusche, die hier, wo jedes Gramm Wasser kostbar ist, das Bad vertrat, und „legte Gewand an“, wie sie es nannte, wenn sie sich fraulich kleidete.
Der Direktor des Radio-Astronomischen Observatoriums war ein klein wenig ärgerlich. Er hatte sich die Persönlichkeit, die in dieser weltbedeutenden Sache zu ihm geschickt wurde, etwas gewichtiger vorgestellt. Aber dann rief er sich zur Ordnung und wartete als höflicher Mann ab, was seine junge Besucherin sagen würde. Yvonne musterte den Direktor des Observatoriums, einen etwa sechzigjährigen, feingliedrigen Afrikaner mit seltsam jungenhaften, schlaksigen Bewegungen, mit den spielerisch-gelenkigen Fingern und den Grübelfalten eines Bastlers. Den haut es nicht um, dachte sie.
„Wir haben die Botschaft, die ja von Ihnen zuerst empfangen wurde, entschlüsselt“, begann sie. „Sie betrifft vermutlich ein kosmisches Objekt unbekannter Art vom doppelten Durchmesser der Mondbahn.“ Dann reichte sie ihm einen Zettel mit Zahlenreihen. „Dies sind die Koordinaten von vierzehn aufeinanderfolgenden Tagen. Die Achsen des Koordinatensystems verlaufen wahrscheinlich in Richtung der großen und kleinen Erdbahnachse und der Senkrechten auf
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