Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
unbestritten nützlich zu erweisen, wie er nur konnte. Er preßte wieder die Hände an die Wangen des alten Mannes und fand, daß sie warm waren, aber kälter als vorher, was ihm mehr oder weniger angebracht erschien. Der Gedanke beschlich ihn, daß er vielleicht in dem Bruchteil der Sekunde zwischen dem Augenblick, wo der alte Mann den Stromkreis des Telefons geschlossen hatte, und dem, wo seine geöffneten Augen erstarrt waren und direkt in den Himmel stierten und sein Gesicht weiß wie Zucker wurde und dann grau, etwas hätte tun können, den Mund von Mr. Lamb mit seinem Mund versiegeln und sich die Seele aus dem Leib blasen und seine eingefallenen alten Lungen mit Luft füllen und sein Herz wieder zum Schlagen hätte bringen können, allein durch die schlichte ungestüme Kraft seiner eigenen Lungen, die sich in dem alten Mann konzentrierte. Aber dafür, da war er sich ganz sicher, war einfach keine Zeit gewesen. Vor einem Jahr hatte er in Beebes Wohnung am Astor Place gesessen und im Fernsehen verfolgt, wie ein Footballspieler, der auf der Fünfunddreißig-Meter-Linie lag, an Herzversagen starb, und später erklärten die Ansager, daß der Spieler schon tot gewesen war, bevor er aufgeschlagen war, ja vielleicht sogar schon im Umkleideraum Stunden vor dem Spiel. Wenn das so war, vermutete er, während das Boot immer noch unter ihm schwankte und der Kopf des alten Mannes vor und zurück wippte und dabei an seine Knie stieß, dann war dieser alte Mann schon tot, bevor er überhaupt ins Boot gestiegen war, denn nichts konnte in so kurzer Zeit eine solche Verwüstung an ihm anrichten, wenn es nicht schon einige Zeit zuvor damit begonnen hatte. Und da er nicht wie ein Gott schon im voraus gewußt hatte, was geschehen würde, hatte er auch überhaupt nichts unternehmen können, um dem alten Mann beizustehen.
    Sein Rücken wurde hart und seine Knie begannen, an den Rippen der Bootswand zu scheuern. Er lehnte sich zurück, rieb sich lange die Furche auf seiner Stirn und horchte prüfend auf seinen eigenen Atem. Der alte Mann wirkte dünn wie Papier, jetzt, wo seine Schläfen beträchtlich eingesunken waren, und absolut lächerlich, wie er da auf dem Boden des Bootes lag, mit den Wildenten auf seinem Hemdkragen und den gelben Hosenträgern, die über seinen Schultern klafften, als wären sie für einen viel größeren Mann gemacht worden. Er langte hinunter zwischen seine Beine und drückte die Augenlider des alten Mannes nach unten und merkte, was für eine einfache und unspektakuläre Angelegenheit das war, weil die Lider sich willig schlossen und ohne die geringste Anstrengung geschlossen blieben, als machte es gar keinen Unterschied, ob sie offen oder geschlossen waren. Aber der alte Mann sah nun unmißverständlich tot aus, und der geschäftige Impuls stieg wieder in ihm auf, und er griff nach dem Pfahl, an dem Landrieu den weißen Kanister aufgespießt hatte, riß den Kanister ab und zog das Boot dahin, wo das Paddel ins Wasser gerutscht war. Mit dem Paddel steuerte er das Boot hinüber zu einem Stück schwankendem Boden, stieg aus und zog das Boot ein Stück weit hinauf, streifte sein Hemd ab und breitete es über das Gesicht des alten Mannes. Er suchte das zugewachsene Ende des Sees ab und erblickte nichts. Die Schildkröten hatten ihren Baumstamm verlassen, und der See lag öd und schläfrig da. Die Sonne stand in einem Winkel von fünfundvierzig Grad über den Baumkronen und schien hinter einer langen krustigen Wolkenbank hervor. Es roch nach Regen, und der Duft vermischte sich mit dem üblen Gestank des Wassers, und ohne Hemd spürte er, wie der Wind an seinem Bauch vorbeistrich, und seine Haut zog sich zwischen den Rippen zusammen, und er rieb sich den Oberkörper und drehte sich zur Sonne und versuchte, sich von ihr wärmen zu lassen, aber sie wärmte ihn nicht mehr.
    Er zog die Arme des alten Mannes von der Bootswand und legte sie neben seinen Körper. Er hob seine dürren Knöchel vom Bugsitz, legte seine Beine so zusammen, daß seine Knie gegen die Seiten fielen, und stellte den schwarzen Kasten als Stütze vor seine Füße. Er langte nach dem Buggriff des Bootes und schob es zurück in den See, ließ es durch das Schilf im seichten Wasser schrammen, hockte sich in dem schmalen Bug auf die Knie und stakte das Boot weiter und weiter in den See hinaus, bis er den mergeligen Grund nicht mehr mit dem Ruderblatt erreichen konnte und das Boot, mit dem alten Mann unten im breiten und flachen Heck, sich aus dem

Weitere Kostenlose Bücher