Ein Stueck meines Herzens
Chevrolet mit einem Plastikgitter vorm Kühler. Hinter Sonnenbrillen starrten die Insassen auf ihn hinunter, sagten etwas und zeigten höflich auf ihn. Plötzlich ging die Tür auf, und ein winziges Mädchen mit langen roten Haaren und einem rosa Sonntagskleid sprang heraus, preßte eine ebenso winzige Kamera vor ihren Bauch, fotografierte ihn und verschwand wieder im Wageninnern. Die Insassen lächelten und nickten, saßen einen Moment lang da und schauten ihm beim Ankleiden zu, als ob sie eine besondere Geste der Anerkennung erwarteten. Aber als er nicht reagierte, schienen sie auch zufrieden zu sein und fädelten sich langsam wieder in den Verkehr ein.
Vollkommen erschöpft ging er zurück über den Hügel zur Bushaltestelle. Der Fahrkartenverkäufer empfing ihn mit einem schmierigen Lächeln, schaute über seine Schulter auf die Trailways-Uhr und zeigte bedeutungsvoll auf sie.
Er bettete den Kopf an die Rückenlehne seines Stuhls, starrte auf das alte milchige Oberlicht und versuchte, an nichts zu denken. Irgendwo im Bahnhof kam eine Stimme aus einem Lautsprecher und sagte etwas Unverständliches, und eine Minute später hörte er, wie ein Zug am oberen Bahnsteig scheppernd einfuhr und für einige Minuten, während er darauf horchte, wie die Bremszylinder Druck abließen, hielt, um dann langsam wieder anzufahren und in den Tageslärm zu verschwinden.
»Ich bin«, sagte Beebe, »mit einem Mädchen aus Belzoni auf der Schule gewesen. Sie heiratete einen Typen aus so ’ner Studentenverbindung aus Meridian. Sie war ein wirklich süßes Ding mit dem Teint ihrer Mutter und einem wunderschönen Busen. Sie heiratete diesen Jungen, der Morris Spaulding hieß. Und Morris nahm sie mit nach Meridian und übernahm die Dodgevertretung seines Vaters. Und das erste, was wir dann hörten, war, daß er sie in irgendeiner gräßlichen Zeltshow drüben in Alabama auftreten ließ, während er im Publikum saß und wer weiß was mit sich machte. Und das alles nur, weil sie so ein süßes kleines Ding war und ihm alle Entscheidungen überließ. Ich finde das reichlich daneben, Newel, aber du vielleicht nicht.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte er. »Wer hat dich das gefragt – wen interessiert das?«
8
1951 im Sommer waren sie mit dem Mercury seines Vaters von Jackson nach Memphis gefahren, und am ersten Tag hatte er mit seiner Mutter im Chief Chisca Hotel gesessen, auf die Union Avenue hinausgeschaut und geseufzt, während sein Vater in der Hitze davongegangen war, um seine Kunden zu treffen. Und am Abend waren sie mit dem Wagen die Union Avenue hinuntergefahren, bis die Straße aufhörte, und hatten vor einem weißen Haus mit blauen Fensterläden gehalten. Dort kannte sein Vater einen Mann namens Hershel Hoytt, der Rosinen verkaufte. Der Mann war zu Hause, trug Golfshorts und einen Golfschläger und eine schwarz eingefaßte Brille mit dicken Gläsern und hatte ein Gesicht wie ein Storch. Sie setzten sich an den runden Tisch in der Küche, tranken Whiskey, lachten und sangen und aßen Spaghetti mit Wiener Würstchen, und er wurde ins Schlafzimmer gebracht, in dem ein breites Bett mit einer weißen Chenilledecke stand, und sie sagten zu ihm, daß er schlafen sollte. Um zwei Uhr schlief er, und das Deckenlicht war an, als sich die Tür öffnete und sein Vater und seine Mutter hereinkamen, sich neben das Bett stellten, ihn anschauten und sagten, daß er hübsch sei (obwohl er da schon wach war). Und sie schoben ihn sanft auf die Kissen, legten sich selbst quer aufs Bett und schliefen ein. Er lag im Bett, während sie alle drei überkreuz im winzigen Zimmer lagen und das Licht immer noch durch den Glasschirm der Lampe auf sie herabfiel, und er roch ihren Atem, horchte darauf, wie sie atmeten, erinnerte sich an ihren Gesang und lauschte, wie sich Stille in dem fremden Haus ausbreitete, bis er zu weinen anfing und das Haus verließ.
9
Er ging auf der Union Avenue zurück in die Stadt und ging weiter, bis er die kreidigen roten Ziegel erreichte, die direkt zum Fluß hinunterführten, und als er näher ans Wasser kam, herrschte dort ein fürchterlicher Gestank wie nach Öl und altem Kohl, und er ging den Damm wieder hoch, in die Stadt hinüber und zum Peabody Hotel, wo, wie sein Vater gesagt hatte, die reichen Leute wohnten, wenn sie nach Memphis kamen. Und in der oberen Hotelhalle legte er sich zum Schlafen hinter den Tisch des öffentlichen Notars.
Um sieben Uhr morgens wachte er auf, schaute vom Zwischenstock auf die
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