Ein Stueck meines Herzens
angezogen, dessen Ärmel über seine Hände fielen. Auf jeder Kragenspitze war von Hand das Bild einer Wildente, die gerade landete, aufgemalt. Er hatte ein Paar rot und gelb gestreifte Hosenträger angeknöpft und sein widerspenstiges Haar feucht an den Kopf gekämmt, so daß er aussah wie der Ehrengast bei einer Geburtstagsparty.
Der erste Eindruck, den der alte Mann vermittelte, war, daß er auf die Hälfte der Größe geschrumpft war, die er noch vor einer Stunde gehabt zu haben schien. Sein Gesicht war an den Schläfen eingesunken, und seine Augen wirkten gebrochen und bläßlich.
»Setzen Sie sich hin, um Himmels willen«, sagte der alte Mann laut zur Küche hinüber. »Bring noch zwei Gläser rein, T. V. A.«
Mrs. Lamb schaute stirnrunzelnd von ihren Radioknöpfen auf und warf ihnen beiden einen mißbilligenden Blick zu. Sie war eine große Frau mit scharlachrotem Haar, einem breiten und dehnbaren Mund und dunkler Haut, die sie mit einem dunklen Lippenstift betonte, was sie südländisch und halsstarrig erscheinen ließ. Er versuchte, ihr durch die Korridortüren zuzulächeln. Mrs. Lamb lauschte Eddie Arnold, der »Cattle Call« sang, und ein großes majestätisches Lächeln breitete sich auf ihrem Mund aus, als ob sie einen Augenblick wiedererlebte, in dem das Lied ein unbeschreibliches Glück ausgedrückt hatte. Er überlegte zerstreut, ob sie nicht in Wirklichkeit eine alte Dirne war, die Mr. Lamb irgendwo aufgegabelt hatte und nun zu seinem Vergnügen auf der Insel behielt, und für die er das riesige Radio besorgt hatte, damit sie Hörkontakt mit dem Rest der Welt pflegen konnte.
Der Farbige, der nun eine weiße Kellnerjacke trug, auf deren Tasche »Illinois Central Railroad« aufgestickt war und deren Ärmel mehrere goldene Streifen schmückten, kam mit zwei geschliffenen Gläsern aus der Küche, stellte sie auf den Tisch und verzog sich wieder in die Küche.
Mr. Lamb griff nach einer Literflasche »Wild Turkey«, die auf dem Fußboden stand, und stellte sie entschieden vor Robard. »Mrs. Lamb zwingt mich dazu, daß ich meinen Whiskey unter die Spüle stelle«, klagte er, grinste und zog den Kopf ein, als erwarte er einen Schlag.
»Zusammen mit den anderen Putzmitteln«, warf Mrs. Lamb vom anderen Ende des Hauses ein.
»Sie duldet ihn auch nicht auf dem Tisch«, sagte der alte Mann, immer noch grinsend.
Robard goß sich etwas Whiskey ins Glas und schob die Flasche über den Tisch. Er goß sich eine ansehnliche Menge in sein eigenes Glas und stellte die Flasche auf den Fußboden neben Mr. Lambs Fuß.
»Das ist gut«, sagte Mr. Lamb, zufrieden mit den Gläsern der anderen und mit seinem eigenen, das halb voll war. »Ich finde, wir sollten uns alle schön besaufen.«
Der Farbige wieherte in der Küche.
»Das ist Marks einziger Trinkspruch«, sagte Mrs. Lamb. Er hatte das Gefühl, als ziele ihre Antwort direkt auf ihn.
»Ma’am?« fragte er.
Sie lächelte ihn würdevoll an und drehte das Radio leiser. »›Wir sollten uns alle schön besaufen‹ ist der einzige Trinkspruch, den Mark kennt.«
Mr. Lambs Gesicht hellte sich auf. Er drehte sich in seinem Stuhl um, prostete ihr zu und nahm einen großzügigen Schluck Whiskey.
»Mrs. Lamb ist eine liebe, sanfte Frau«, sagte der alte Mann mit gerötetem Gesicht zu ihnen beiden. Seine kleinen Augen waren feucht vom Whiskey. Er leckte sich voller Abscheu die Lippen, als hätte er gerade Pisse getrunken. »Ich habe sie seit fünfzig Jahren, und wir haben uns nie gestritten. Wenn sie bloß endlich herkäme«, sagte er und schrie lauter, als seine Stimme eigentlich erlaubte.
»Wenn du mich bloß in Ruhe Radio hören lassen würdest«, sagte sie gereizt.
»Ich möchte, daß du diese beiden Gentlemen kennenlernst, Mr. Hewes und Mr. Newel. Mr. Newel ist der Liebhaber von deiner Enkeltochter, nicht wahr?« sagte er.
»Ihr Freund«, sagte er und ließ den Whiskey durch seine Kehle sickern.
»Also dann, ihr Freund. Er sagte, er ist ihr Freund. Ha. Könntest du nicht mal herkommen, damit ich dich vorstelle!«
Sie starrte ihren Mann an, lächelte fast gleichzeitig ihn und Robard an und drehte ihr Radio lauter, um die letzten verklingenden Noten von »Cattle Call« zu hören.
»Ich hab Mrs. Lamb das Radio Weihnachten vor zehn Jahren gekauft«, sagte Mr. Lamb finster und umklammerte sein Glas mit den Händen. »Wir haben kein Telefon, und sie fühlte sich immer so einsam, weil bloß Männer um sie rum waren, die tranken und logen. Also hab ich ihr das da,
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