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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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trotzdem, während er sie durch die besten Geschäfte führte, wo er um die Hilfe überheblicher junger Frauen bat, die dann doch entzückt taten. Und schließlich besaß Julia ein weinrotes Samtkostüm, das von denen, die sie seit Jahrzehnten trug, nicht zu unterscheiden war. Sie hielt sich gerade darin, gestützt von den Gedanken an die winzigen seidenen Stiche an Kragen und Manschetten und an das perfekt sitzende rosafarbene Seidenfutter, das sie als Schutz gegen die Barbaren empfand. Auf dem Sitz neben ihr hatte sich Frances tief hinuntergebeugt, um ihre Strümpfe und die vernünftigen Schuhe gegen solche mit hohen Absätzen und schwarze Nylons zu tauschen. Ansonsten ging sie davon aus, dass ihre Arbeitskleidung – Julia hatte Frances von der Zeitung abgeholt – passend war. Andrew hatte gesagt, es gebe eine Kleinigkeit zu feiern, sie müssten sich aber nicht fein machen. Was meinte er bloß? Was feiern?
    Sie fuhren unvermeidlicherweise langsam zu Andrew, nebeneinander, in wohltuendem und argwöhnischem Schweigen. Frances dachte, dass sie in all den Jahren, in denen sie in Julias Haus wohnte, so selten zusammen in einem Taxi gesessen hatten, dass man es an einer Hand abzählen konnte. Und Julia dachte daran, dass es keine Intimität zwischen ihnen gab und dass die junge Frau – ach, Julia, das war sie doch wirklich nicht! – trotzdem die Strümpfe abstreifen und ihre kräftigen weißen Beine zeigen konnte, ohne dass es auch nur einen Moment peinlich war. Julias nackte Beine hatte wahrscheinlich niemand außer ihrem Mann und Ärzten gesehen, seit sie erwachsen war. Wilhelm? Niemand wusste es.
    Sie waren immerhin so weit gegangen, sich darauf zu verständigen, dass wohl gefeiert wurde, weil man Andrew eine Stelle in einer der großen internationalen Organisationen angeboten hatte, die das Geld ein- und ausatmeten und die Angelegenheiten der Welt ordneten. Als er seinen zweiten akademischen Grad in Jura gemacht hatte – und zwar mit Auszeichnung –, hatte er das Haus seiner Großmutter zum zweiten Mal verlassen und war mit anderen jungen Leuten in eine Wohnung gezogen, aber er hatte nicht vor, lange dort zu bleiben.
    Als sie Gordon Square erreichten, war es dunkel. Große Regentropfen fielen aus einem schwarzen Himmel und platschten unsichtbar um sie herum zu Boden. Es war ein gutes Haus, niemand musste sich dafür schämen: Julia hatte sich gefragt, ob Andrew sie bisher noch nicht eingeladen hatte, weil er sich für seine Adresse schämte, und wenn ja, warum er dann überhaupt von zu Hause ausgezogen war. Es kam ihr nicht in den Sinn, dass sie und Frances eine erdrückende Last der Autorität oder zumindest der Leistungserwartung für ihn waren. »Was,
ich
 – du machst Witze!«, sagen die Eltern, denn diese Situation wiederholt sich in jeder Generation. »
Ich?
Eine Bedrohung? Dieses kleine, leicht zu zerdrückende Ding, das ich bin, das sich immer nur ans Leben klammert.« Andrew hatte von zu Hause weggehen müssen, um zu überleben, aber als er zurückgekommen war, um weiterzustudieren, hatte sich die Atmosphäre entspannt, denn er entdeckte, dass er seine strenge, missbilligende Großmutter nicht mehr fürchtete, ebenso wenig wie die Gedanken, die das unbefriedigende Leben seiner Mutter in ihm erweckte.
    Es gab keinen Aufzug, aber Julia ging forsch die steile Treppe hinauf, deren Teppich einmal gut gewesen war. Als Andrew ihnen geöffnet hatte, ging es in der Wohnung entsprechend weiter, denn sie war groß, und es gab viele ganz unterschiedliche Möbel, von denen manche einmal prachtvoll gewesen waren, aber nun ihrem Ende entgegensahen. Jahrzehntelang hatten Studenten hier gewohnt oder junge Leute, die ihr Arbeitsleben begannen, und die meisten Dinge würden demnächst auf der Müllkippe landen. Andrew führte sie nicht in den großen Gemeinschaftsraum, sondern in einen kleineren an dessen Ende, der durch eine Glaswand abgetrennt war. In dem großen Raum saßen ein paar junge Männer und ein Mädchen, die lasen oder fernsahen, aber hier stand ein hübsch für vier Personen gedeckter Tisch – weißes Leinen, Glas, Blumen, Silber und Stoffservietten. Andrew sagte: »Wir trinken unseren Aperitif am besten am Tisch, sonst können wir unser eigenes Wort nicht verstehen.«
    Und so setzten sie sich, die drei, und ein leerer Platz wartete auf die Person, die ihn besetzen sollte.
    Andrew sah müde aus, fand seine Mutter. Die dunklen Augenringe eines Heranwachsenden, teigiges Aussehen, Korpulenz, Pickel

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