Ein süßer Traum (German Edition)
Julia.
»Sicher viel mehr als wir beide.«
»Arme Frances, du hattest nicht viel Gelegenheit, in der Welt herumzukommen.«
»Dann aber auch: arme Julia.«
Sie fühlten sich wohl miteinander und schwiegen für den Rest der Fahrt.
»Das wird nichts, Frances«, sagte Julia zuletzt.
»Nein, ich weiß.«
»Also dürfen wir nicht die ganze Nacht wach liegen und uns deswegen Sorgen machen.«
Frances saß allein am Küchentisch, der inzwischen halb so groß war, trank Tee und hoffte, dass Colin hereinschauen würde. Sylvia ließ sich kaum mehr blicken. Weil sie nicht mehr in der Ausbildung, sondern eine richtige Ärztin war, schlief sie nicht länger augenblicklich ein, wenn sie sich setzte. Sie arbeitete sehr viel und benutzte das Zimmer auf dem Treppenabsatz gegenüber von Frances’ Zimmer kaum noch. Sie kam, um zu baden oder sich umzuziehen, und manchmal auch über Nacht, sie rannte nach oben, um Julia zu umarmen, oder auch nicht, und das war es dann. Also sah Frances von allen »Kindern« inzwischen nur noch Colin.
Sie wusste nichts über sein Leben außerhalb dieses Hauses. Eines Tages klingelte ein zwielichtiger Kerl mit einem großen schwarzen Köter und fragte nach Colin, der heruntergerannt kam und sich mit ihm in Hampstead Heath verabredete. Sofort fing Frances an, sich Sorgen zu machen: War Colin homosexuell? Doch sicher nicht? – und sie war schon dabei, an einer einigermaßen korrekten Haltung zu feilen, für den Fall, dass er es war. Doch dann erschien ein bleiches Mädchen, und dann noch eins, und sie konnte nur sagen, er sei nicht da. Aber wenn er nicht da ist, warum ist er dann nicht bei mir? – Frances wusste, dass sie das dachten, denn das hätte sie an ihrer Stelle auch getan. Diese Ereignisse gaben Hinweise auf Colins Leben. Er streifte zu jeder Tageszeit mit Vicious durch Hampstead Heath, unterhielt sich mit Leuten, die auf den Bänken saßen, freundete sich mit anderen Hundebesitzern an und ging manchmal in einen Pub. Als Julia zu ihm sagte: »Colin, es ist nicht gesund für einen jungen Mann, kein Sexleben zu haben«, hatte er sie zurechtgewiesen: »Aber, Großmutter, ich führe ein dunkles, gefährliches, geheimes Leben mit lauter wahnsinnigen, romantischen Begegnungen, also mach dir bitte keine Sorgen um mich.«
An diesem Abend kam er nach Hause, wie immer mit dem kleinen Hund, sah Frances und sagte: »Ich mache mir einen Tee.« Der Hund sprang auf den Tisch.
»Nimm doch diesen Quälgeist herunter.«
»Ach, Vicious, hast du das gehört?« Er nahm den Hund, setzte ihn auf einen Stuhl und sagte ihm, er solle dort bleiben, und das tat er auch, wedelte mit dem Schwanz und beobachtete sie mit seinen schwarzen, neugierigen Augen.
»Ich weiß, dass du über Andrew reden willst«, sagte er und setzte sich mit seinem Tee.
»Natürlich. Es wäre eine Katastrophe.«
»In dieser Familie darf es keine Katastrophen geben.« Sein Lächeln zeigte seiner Mutter, dass er in kämpferischer Stimmung war. Sie wappnete sich und dachte daran, dass sie zu Andrew absolut alles sagen konnte, während es bei Colin immer einen ängstlichen Moment gab, in dem sie innehielt, um herauszufinden, in welcher Stimmung er war. Sie hätte beinahe gesagt: »Vergiss es – ein andermal«, aber er sprach weiter. »Julia hat auch damit angefangen. Was soll ich denn eurer Meinung nach machen? Soll ich sagen: Sei nicht albern, Andrew, sei nicht so rücksichtslos, Sophie? Der Punkt ist, sie braucht Andrew, um sich von Roland zu befreien.«
Jetzt wartete er ab und lächelte. Er war jetzt ein fülliger, großer Mann mit schwarzem, lockigem Haar und einer schwarz gerahmten Brille, die ihm einen gelehrten Anstrich gab. Er war jederzeit bereit, zum Angriff überzugehen, schließlich war er immer noch teilweise finanziell abhängig. Julia hatte zu Frances gesagt: »Es ist besser, wenn ich ihn unterstütze – psychologisch besser.« Sie hatte recht, aber es war seine Mutter, an der er es ausließ. Frances wartete ebenfalls ab. Eine Schlacht stand bevor.
»Wenn du eine Kristallkugel haben willst, dann konsultierst du am besten die gute Phyllida da unten, aber wenn ich mein ungeheures Wissen über die menschliche Natur anwende – im
Times Literary Supplement
steht, ich habe das –, dann würde ich sagen, sie bleibt genauso lange bei Andrew, bis Roland sich beruhigt hat, und dann verlässt sie Andrew wegen eines anderen.«
»Der arme Andrew.«
»Die arme Sophie. Sie ist eben Masochistin. Das müsstest du doch
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