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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Richtung gingen: »Aber sich selbst kann sie nicht retten.« Immerhin zog sie Patienten an. Phyllida und ihre hartnäckigen Kunden loszuwerden – niemand im Haus würde etwas dagegen haben. Doch, eine, Sylvia, die jetzt eine mütterliche Einstellung zu ihrer Mutter hatte. Sie machte sich Sorgen um sie. Und was würde es bringen, wenn Phyllida auszog? Es hätte nur Sinn, wenn Frances nach unten zog oder Colin. Warum sollten sie? Und es gab noch einen anderen Grund, einen gewichtigen, den Wilhelm nur erahnen konnte. Julias Traum war, dass Sylvia in das Haus ziehen würde, wenn sie heiratete oder »einen Partner fand« – ein alberner Ausdruck, dachte Julia. Wohin? Phyllida könnte doch aus der Souterrainwohnung ausziehen, und dann …
    Wilhelm sagte bisweilen, er verstehe nun: Julia wolle ihn nicht dort haben. »Ich habe dich immer mehr geliebt, als du mich geliebt hast.« Julia hatte nie daran gedacht, diese Liebe zu wiegen und zu messen. Sie verließ sich einfach darauf. Wilhelm war ihre Stütze und ihr Beistand, und jetzt, wo sie alt wurde (so empfand sie es trotz Dr. Lehmann), wusste sie, dass sie ohne ihn nicht zurechtkommen würde. Liebte sie ihn also nicht? Im Vergleich zu Philip wohl nicht. Wie unangenehm dieser Gedankengang war, sie wollte ihn nicht weiterdenken und Wilhelms Vorwürfe nicht hören. Sie hätte gern gehabt, dass er einzog, wenn nicht alles so schwierig gewesen wäre, wenn auch nur, um ihr Gewissen zu beruhigen, weil er seine große Wohnung so wenig nutzte. Sie war sogar bereit, über Zärtlichkeiten und Gespräche zur Schlafenszeit in ihrem vormals ehelichen Bett nachzudenken. Aber in ihrem langen Leben hatte sie ihr Bett mit einem einzigen Mann geteilt: Das war zu viel verlangt – oder? Aus Wilhelms Vorwürfen wurden Anklagen, und Julia weinte, und Wilhelm tat es leid.
     
    Frances plante, bei Julia auszuziehen. Endlich würde sie ihre eigene Wohnung haben. Jetzt, wo es keine Gebühren für Schule oder Universität zu zahlen gab, sparte sie tatsächlich Geld. Ihre eigene Wohnung, nicht Johnnys oder Julias. Und sie würde groß genug sein müssen für ihr gesamtes Recherche-Material und ihre Bücher, die im Moment zwischen dem
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und Julias Haus aufgeteilt waren. Eine große Wohnung. Wie angenehm es war, ein regelmäßiges Einkommen zu haben: Nur jemand, der noch nie eins genossen hatte, konnte das mit dem tief empfundenen Gefühl sagen, das angemessen war. Frances erinnerte sich an die freiberufliche Arbeit und an unsichere kleine Jobs am Theater. Aber sobald sie genügend Geld für die entscheidende Anzahlung hatte, würde sie sich aus ihrer Position beim
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zurückziehen, die ihr zunehmend falsch vorkam, und dann würde es vorbei sein mit den Beträgen, die regelmäßig auf ihrem Bankkonto eingingen.
    Die meiste Arbeit hatte sie immer zu Hause erledigt, hatte nie das Gefühl gehabt, zur Zeitung zu gehören. Die Kollegen beklagten sich, weil sie einfach kam und ging, als wäre ihr Verhalten eine Kritik am
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. Das war es auch. Sie war Außenseiterin in einer Institution, die sich selbst als belagert empfand, und zwar von feindlichen Horden, von reaktionären Kräften, als hätte sich nichts verändert seit den großen Tagen des vergangenen Jahrhunderts, in denen der
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die beinahe einzige Bastion der anständigen, aufrichtigen Werte gewesen war: Es hatte keine ehrliche, gute Sache gegeben, die der
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nicht verteidigt hätte. Inzwischen traten die Zeitungen für die Beleidigten und die Verletzten ein, verhielten sich aber, als ginge es um Minderheitenprobleme anstatt – im Großen und Ganzen – um »die landläufige Meinung«.
    Frances war nicht länger Tante Vera (Mein kleiner Sohn macht ins Bett, was soll ich tun?), sondern schrieb solide, gut recherchierte Artikel über Themen wie die Diskrepanz bei der Bezahlung von Männern und Frauen, ungleiche Beschäftigungsmöglichkeiten, Kindergärten: Fast alles, was sie schrieb, hatte mit der unterschiedlichen Situation von Männern und Frauen zu tun.
    Die Journalistinnen des
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waren in manchen, meist männlichen Kreisen (die sich zunehmend von feindlichen weiblichen Horden belagert sahen) als eine Art Mafia bekannt, schwerfällig, humorlos, besessen, aber ehrenwert. Frances war auf jeden Fall ehrenwert: All ihre Artikel wurden ein zweites Mal in Broschüren und sogar in Büchern verwertet und ein drittes Mal in Radio- oder Fernsehsendungen. Insgeheim war sie auch der Ansicht, dass ihre Kolleginnen

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