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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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nichts.
    »Ich fürchte, als der andere Arzt weggegangen ist, sind Sachen gestohlen worden.«
    »Verstehe.«
    »Ja, so war das, fürchte ich.«
    Sylvia wurde klar, dass sein »ich fürchte« tatsächlich wörtlich gemeint war, als würde er jeden Moment einen Tadel oder Prügel erwarten. Wenn die Menschen hier früher, vor langer Zeit, »ich fürchte« gesagt hatten – hatten sie dann einen Schlag oder einen Tadel erwartet?
    Was für ein Glück, dass sie ein neues Stethoskop und einen Grundstock an Medikamenten mitgebracht hatte. »Gibt es ein Schloss für diese Tür?«
    »Ich fürchte, das weiß ich nicht.« Aaron blickte sich suchend um, als wäre das Schloss im Staub zu finden. »Ja, da ist es«, schrie er, und er hatte es tatsächlich gefunden, es steckte im Stroh des Daches.
    »Und der Schlüssel?«
    Er suchte wieder, aber ein Schlüssel war zu viel verlangt.
    Sie würde ihren kleinen Vorrat keinem Schuppen anvertrauen, der kein Schloss hatte. Sie stand unschlüssig da und dachte, dass sie gar nichts mehr verstand. Sie brauchte einen Schlüssel, von dem Schuppen ganz zu schweigen, und Aaron sagte: »Schauen Sie, Doktor, ich fürchte, das hier ist nicht gut – schauen Sie.« Er drückte gegen die Ziegel in der hinteren Wand des Schuppens, und sie fielen heraus. An einer Stelle hatte jemand sorgfältig den Mörtel entfernt, und man konnte leicht ein ausreichend großes Loch machen: Jeder konnte herein.
    Sie sah sich kurz ihre Patienten an, die hier und da herumlagen, kaum zu unterscheiden von den Freunden und Verwandten, die sie begleiteten. Eine ausgerenkte Schulter. Sie renkte sie wieder ein und sagte dem jungen Mann, er solle dableiben und sich ausruhen und die Schulter eine Weile nicht belasten, aber schon wankte er davon in den Busch. Ein paar eitrige Schnittwunden. Noch eine Malaria, das glaubte sie jedenfalls. Ein Bein, das angeschwollen war wie eine Nackenrolle, die Haut war offenbar kurz vorm Platzen. Sie ging zurück in ihr Zimmer, kam mit einer Lanzette, Seife, einem Verband und einer Schüssel, die sie von Rebecca bekommen hatte, zurück, hockte sich hin und schnitt das Bein auf, aus dem große Eitermengen in den Staub sickerten, was zweifellos eine schöne neue Infektionsquelle ergab. Die Patientin stöhnte vor Dankbarkeit; sie war eine junge Frau mit zwei Kindern, die neben ihr saßen, eins saugte an ihrer Brust, obwohl es offenbar mindestens vier Jahre alt war, und das andere klammerte sich an ihren Hals. Sylvia verband das Bein, wobei sie hoffte, dass so weniger Staub eindringen würde, und sagte der Frau, sie solle sich schonen, obwohl das wahrscheinlich absurd war. Dann untersuchte sie eine Schwangere, kurz vor der Niederkunft. Das Baby lag falsch.
    Sylvia suchte ihre Instrumente und die Schüssel zusammen und sagte, sie müsse mit Pater McGuire reden. Zuvor fragte sie Aaron, was er und der Malaria-Patient essen wollten. Er sagte, dass Rebecca vielleicht so nett sein und ihnen
sadza
geben würde.
    Sylvia fand Pater McGuire im vorderen Raum am Tisch, wo er zu Mittag aß. Er war ein fülliger Mann in einem schäbigen Rock, mit vollem, kurz geschnittenem weißem Haar, dunklen, sympathischen Augen und einer jovialen, freundlichen Ausstrahlung.
    Er drängte Sylvia, mit ihm einen kleinen Dosenhering zu essen – den sie mitgebracht hatte, und das tat sie; dann tat sie ihm den Gefallen und aß auch noch eine Orange.
    Rebecca stand eine Weile da und sah ihnen zu, dann sagte sie, unten im Krankenhaus heiße es, dass Sylvia keine Ärztin sein könne, sie sei zu klein und zu dünn.
    »Soll ich Ihnen meine Zeugnisse zeigen?«, sagte Sylvia.
    »Ich zeige Ihnen, wie schwer meine Hand ist«, sagte Pater McGuire. »Was für Unverschämtheiten höre ich da?«
    »Ich brauche einen Schuppen, den man abschließen kann«, sagte Sylvia. »Ich kann nicht mehrmals täglich alles runter- und wieder rauftragen.«
    »Ich sage dem Maurer, dass er das Loch im Schuppen reparieren soll.«
    »Und ein Schloss? Einen Schlüssel?«
    »Das ist allerdings nicht so einfach. Ich muss nachsehen, ob wir eins haben. Ich kann Aaron bitten, zu den Pynes zu gehen und nach einem Schloss mit Schlüssel zu fragen.«
    Er steckte sich eine Zigarette an und hielt auch Sylvia eine hin. Sie hatte so gut wie nie geraucht, aber jetzt war sie dankbar dafür.
    »Ach ja«, sagte er. »Sie hatten einen langen Tag. Es ist immer dasselbe am ersten Tag fern der Heimat. Unser Tag fängt um halb sechs an und hört – meiner jedenfalls – um neun auf.

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