Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
du«, versuchte sie zu erklären, »du verstehst nicht, was Bücher bedeuten. Aber wenn man jemanden nachts bei Kerzenlicht in seiner Hütte sitzen und lesen sieht … wenn man sieht, wie jemand kämpft, der kaum lesen kann.« Ihre Stimme bebte.
    »Ach, Sylvia, es tut mir leid.«
    »Schon gut.«
    Die Liste, die sie geschickt hatte, war in seiner Brieftasche, die er bei sich trug: Warum? Er hatte sie eben immer bei sich.
    Marias Blumengarten. Theorie und Praxis guten Wirtschaftens in Afrika südlich der Sahara. Wie man gutes Englisch schreibt. Shakespeares Tragödien. Die Nackten und die Toten. Gawain und der Grüne Ritter. Der geheime Garten. Mogli. Viehseuchen im südlichen Afrika. Shaka, König der Zulu. Im Dunkeln. Die Sturmhöhe. Tarzan.
Und so weiter.
    Er ging ins Esszimmer zurück, wo Pater McGuire erfrischt wieder erschienen war. Die beiden Männer gingen hinaus in die gleißende Hitze, und Sylvia fiel auf ihr Bett. Sie weinte. Allen, die zum Haus gekommen waren, die immer wieder gekommen waren, um nach Büchern zu fragen, hatte sie versprochen, dass ein neuer Bücherbestand unterwegs sei. Sie fühlte sich im Stich gelassen. In ihrem Kopf stand Andrew für vollkommene Zärtlichkeit und Güte; er war der sanfte große Bruder gewesen, dem sie alles sagen konnte, den sie um alles bitten konnte – aber jetzt war er ein Fremder. Dieser strahlend weiße Anzug! Also bitte, weißes Leinen anzuziehen, um die St. Luke’s Mission zu besuchen! Weißes Leinen, das sich bestimmt anfühlte wie Sahne, die man zwischen den Fingern verrieb. Sie hatte das Gefühl, dass der Anzug eine subtile Beleidigung für sie war, für Pater McGuire, für Rebecca. Früher einmal hätte sie ihm das sagen können, und vielleicht hätten sie darüber gelacht.
    Sie schlief, wachte auf und kochte Tee – Rebecca würde erst zurückkommen, wenn es Zeit für das Abendessen war. Sie hatte Kekse für den Besuch gebacken.
    Die beiden Männer kehrten zurück. Andrew lächelte, wenn auch schmallippig, und sah erschöpft aus: Er hatte nicht geschlafen.
    »Da ist ja mein Tee«, sagte Pater McGuire. »Ich brauche ihn, mein Kind, oh ja, das kann ich Ihnen sagen.«
    »Und?«, sagte Sylvia zu Andrew. Sie klang aggressiv, denn sie wusste, was er gesehen hatte.
    Sechs Gebäude, jedes mit vier Klassenzimmern voller Kinder, von den kleinen bis hin zu jungen Männern und Frauen. Alle waren überschwänglich freundlich, und alle klagten bei diesem Vertreter der Schaltstellen der Macht darüber, dass sie Lehrbücher brauchten, sie hatten keine Lehrbücher. Und wenn, dann gab es ein Lehrbuch für die ganze Klasse. »Wie sollen wir unsere Hausaufgaben machen, Sir? Wie sollen wir lernen?«
    Es gab weder einen Globus noch einen Atlas, in der ganzen Schule nicht. Als er danach fragte, wussten die Kinder nicht, was er meinte. Abgespannte und frustrierte junge Lehrer nahmen ihn beiseite und baten ihn, ihnen Bücher zu beschaffen, aus denen sie lernen konnten, wie man lehrt. Sie waren selbst erst achtzehn oder zwanzig Jahre alt und kaum qualifiziert, und wer hätte sie darin unterrichten können, wie man unterrichtet?
    Andrew hatte noch nie einen Ort gesehen, der so deprimierend war: Eine Schule war das nicht. Pater McGuire hatte ihn von Gebäude zu Gebäude begleitet, wobei er schnell durch den Staub gelaufen war, um der Sonne zu entgehen und wieder im Schatten zu sein, und er hatte ihn als einen Freund Simlias vorgestellt. Andrews Ruhm als Mitarbeiter von Global Money – obwohl Pater McGuire das Zauberwort nicht erwähnt hatte – war ihm durch die ganze Schule vorausgeeilt. Er wurde mit Willkommensrufen begrüßt und mit Liedern, und überall, wo er hinsah, blickte er in erwartungsvolle Gesichter.
    Der Priester hatte gesagt: »Ich will Ihnen die Geschichte dieser Schule erzählen. Wir, die Mission, haben hier jahrelang eine Schule unterhalten – in der ganzen Kolonialzeit. Es war eine gute Schule. Wir hatten nicht mehr als fünfzig Schüler. Manche davon sind jetzt in der Regierung. Wussten Sie, dass die meisten afrikanischen Führer aus Missionsschulen kommen? Während des Krieges hat Genosse Präsident Matthew allen Kindern im Land eine höhere Schulausbildung versprochen. Überall wurden eilig Schulen hochgezogen, und es werden immer noch mehr. Es gibt nicht genügend Lehrer, es gibt nicht genügend Bücher, es gibt keine Schulbücher. Als die Regierung unsere Schule übernommen hat – war das das Ende. Ich glaube nicht, dass die Kinder, die Sie heute

Weitere Kostenlose Bücher