Ein süßer Traum (German Edition)
»Arzt«, von dem Joshua Sylvia erzählt hatte. Pater McGuire beklagte sich in einem wortreichen Brief nach Senga darüber, dass es im Umkreis von dreißig Kilometern kein Krankenhaus und keinen Arzt gab. Zufällig hatte ein Priester, der in London war, Sylvia bei Pater Jack getroffen. Das also war die Geschichte der Krankenstation.
Aber es wurde ein gutes Krankenhaus in fünfzehn Kilometer Entfernung geplant, und wenn es erst einmal eröffnet war, konnte dieser skandalöse Ort – wie Sylvia sagte – aufhören zu existieren.
»Warum skandalös?«, sagte der Priester. »Es wird Gutes getan. Es war ein guter Tag für uns alle, als Sie gekommen sind. Sie sind ein Segen für uns.«
Die vier Frauen, die die Gefahren des Krieges überstanden hatten, hatten nicht immer hinter ihrem Sicherheitszaun gelebt. Sie hatten in der Schule unterrichtet, als es noch eine gute Schule gewesen war. Nach dem Krieg gingen sie fort. Es waren weiße Frauen gewesen; die Nonnen, die sie ersetzten, waren schwarz, junge Frauen, die vor Armut und Langeweile und manchmal vor einer Gefahr in die blau-weiße Schwesterntracht geflüchtet waren, in der sie sich abhoben von anderen schwarzen Frauen. Sie waren nicht gebildet und konnten nicht unterrichten. Sie fanden sich an diesem Ort wieder, vor dem ihnen graute, der kein Entkommen aus der Armut bot, sondern sie daran erinnerte. Sie hießen Schwester Perpetua, Schwester Grace, Schwester Ursula, Schwester Boniface. Das »Krankenhaus« war keines, und als Joshua ihnen befahl, jeden Tag zu kommen, waren sie wieder dort, von wo sie geflüchtet waren – unter der Vorherrschaft eines schwarzen Mannes, der bedient werden wollte. Sie fanden Ausreden, nicht hinzugehen, und Pater McGuire bestand nicht darauf: Im Grunde waren sie zu nichts zu gebrauchen. Sie hatten sich für den sozialen Aufstieg entschieden und nicht für eiternde Glieder. Als Sylvia kam, herrschte bereits Feindschaft zwischen ihnen und Joshua, und jedes Mal, wenn sie ihn sahen, sagten sie, dass sie für ihn beten würden, und er verhöhnte und beleidigte und verfluchte sie dafür.
Sie wuschen zwar die Bandagen und Verbände, während sie sich darüber beklagten, wie schmutzig und ekelhaft sie waren, aber in Wirklichkeit floss ihre Energie in die Kirche, die so hübsch und gepflegt war wie jene Kirchen, die sie als junge Mädchen dazu verlockt hatten, Nonnen zu werden. Diese Kirchen waren weit und breit die saubersten und schönsten Gebäude gewesen, und jetzt lag auch in der Kirche der St. Luke’s Mission nie ein Staubkörnchen, denn sie wurde mehrmals täglich gefegt, und die Statuen von Christus und der Jungfrau waren poliert und glänzten, und wenn der Staub wirbelte, sprangen die Nonnen auf und schlossen Türen und Fenster und fegten ihn weg, bevor er sich auch nur gesetzt hatte. Die guten Schwestern dienten der Kirche und Pater McGuire, und, sagte Joshua und machte sie nach, sie gackerten wie die Hühner, wenn er in ihre Nähe kam.
Sie waren oft krank, weil sie dann nach Senga und in ihr Mutterhaus zurückkehren konnten.
Joshua saß den ganzen Tag unter der großen Akazie, während Sonnenlicht und Schatten über ihn hinwegglitten, und sah zu, was im Krankenhaus vor sich ging, aber oft mit Augen, die das verzerrten, was er sah. Er rauchte beinahe ständig Dagga. Sein kleiner Sohn Clever war immer bei Sylvia, und bald waren es zwei Kinder, Clever und Zebedee. Sie hätten gar nicht weiter entfernt sein können von dem Bild des reizenden schwarzen Kindes mit den langen, gebogenen Wimpern, das die Rührseligen so lieben. Sie waren schlank und hatten knochige Gesichter, in denen riesige Augen brannten, die nach Wissen hungerten und – nur zu offensichtlich – auch nach Essen. Sie kamen, ohne etwas gegessen zu haben, um sieben zum Krankenhaus, und Sylvia nahm sie mit ins Haus, wo sie ihnen Brotscheiben abschnitt und Marmelade gab, während Rebecca zusah und einmal anmerkte, dass ihre Kinder kein Marmeladenbrot bekämen, sondern nur Porridge, und das nicht einmal immer. Pater McGuire sah zu und sagte, Sylvia sei jetzt Mutter zweier Kinder, und er hoffe, dass sie wisse, was sie tue. »Sie haben doch eine Mutter«, sagte sie, und er sagte, nein, ihre Mutter sei auf den Straßen von Simlia, in denen Gewalt regiere, gestorben, und ihr Vater sei an Malaria gestorben, also trage Joshua die Verantwortung für sie. Sie sagten Vater zu ihm. Sylvia war erleichtert, als sie diese Geschichte hörte. Joshua hatte schon zwei Kinder
Weitere Kostenlose Bücher