Ein süßer Traum (German Edition)
dumm. Es liege ein Fluch auf den Kisten – sie benutzte das englische Wort und fügte dann hinzu: »Der
n’ganga
meint, dass jedem, der etwas aus dem Krankenhaus stiehlt, etwas Schlimmes passiert.« Und jetzt stand sie auf und sagte, es sei Zeit, das Mittagessen für Pater McGuire zu holen, und sie hoffe, Sylvia sei hungrig, denn sie habe einen besonderen Reispudding gekocht.
Zwischen ihnen hatten Vertrauen und vollkommene Offenheit geherrscht, als Rebecca ihr gegenübergesessen hatte und sie über Tenderai geredet hatten und in Gedanken bei den anderen Kindern gewesen waren, bei den toten und bei den lebendigen. Aber jetzt würde Rebecca ihr nichts mehr erzählen, denn sie wusste, dass Sylvia sie in dieser Sache nicht verstehen würde.
Sylvia setzte sich auf ihr Bett, das von Ziegelwänden umgeben war, und betrachtete Leonardos Frauen, die sie zu Hause willkommen hießen, das spürte sie. Dann wandte sie sich dem Kruzifix zu, das über ihrem Bett hing, und sie hatte die bewusste Absicht, bestimmte Gedanken zu bestätigen, die sich lautstark in ihrem Kopf bemerkbar machten. Jemand, der die Wunder der römisch-katholischen Kirche guthieß, durfte andere nicht des Aberglaubens bezichtigen: Das war ihr Gedankengang, und sie war weit von jeder Kritik an der Religion entfernt. Sonntags hörten die Gemeindemitglieder, die kamen, um mit Pater McGuire das Abendmahl zu nehmen, dass sie das Blut Christi tranken und das Fleisch Christi aßen. Ihr war langsam klar geworden, wie tief das Leben der Schwarzen, mit denen sie lebte, in den Aberglauben eingebettet war, und sie wollte es ganz verstehen, statt »gescheite intellektuelle Bemerkungen« zu machen, wie man sie beispielsweise aus dem Mund von Colin und Andrew hören würde. Aber die Tatsache blieb bestehen: Es gab einen Bereich, zu dem sie, Sylvia, keinen Zugang hatte und den sie nicht kritisieren durfte, bei Rebecca ebenso wenig wie bei jedem beliebigen schwarzen Arbeiter, obwohl Rebecca ihre gute Freundin war.
Sie würde zu den Pynes gehen müssen, wenn Pater McGuire ihr nicht half. Beim Mittagessen sprach sie das Thema an, während Rebecca neben der Anrichte stand und zuhörte, und als der Priester sich an sie wandte, damit sie das Gesagte bestätigte, fügte sie hinzu: »O.k. Es stimmt. Und jetzt werden die Leute krank, die die Sachen genommen haben, und es wird gemunkelt, das liegt an dem, was der
n’ganga
gesagt hat.«
Pater McGuire sah nicht gut aus. Seine Haut war gelb, und die hektischen Flecken auf seinen breiten irischen Wangenknochen glühten. Er war ungeduldig und schlecht gelaunt. Es war das zweite Mal in fünf Jahren, dass er doppelt so viele Stunden unterrichten musste wie sonst. Und die Schule fiel auseinander, und Mr. Mandizi wiederholte nur, er habe Senga über die Lage informiert. Der Priester ging zurück in die Schule, ohne sein übliches Mittagsschläfchen zu machen, während Sylvia und Rebecca die Bücher auspackten. Sie bauten Regale aus Brettern und Ziegeln, und bald war eine ganze Wand auf beiden Seiten des kleinen Frisiertisches voller Bücher. Rebecca weinte, als sie hörte, dass die Nähmaschinen beschlagnahmt worden waren – sie hatte gehofft, mit dem Nähen auf ihrer Maschine zusätzlich ein bisschen Geld zu verdienen, aber als sie die Bücher sah und berührte, weinte sie vor Freude. Sie küsste die Bücher sogar. »Ach, Sylvia, es ist so wunderbar, dass Sie an uns gedacht und die Bücher mitgebracht haben.«
Sylvia ging zum Krankenhaus hinunter, wo Joshua unter seinem Baum saß und döste, als hätte er in ihrer Abwesenheit diesen Platz niemals verlassen. Die kleinen Jungen begrüßten sie lautstark, und sie widmete sich ihren Patienten, von denen viele Husten oder eine Erkältung hatten, was der plötzliche Wechsel der Temperatur zu Beginn der Regenzeit mit sich brachte. Dann nahm sie den Wagen und fuhr hinüber zu den Pynes, die einen ganz bestimmten Platz in ihrem Leben hatten: Wenn sie eine Auskunft brauchte, fuhr sie dorthin.
Die Pynes hatten ihre Farm nach dem Zweiten Weltkrieg gekauft; in den fünfziger Jahren hatte es eine späte Einwanderungswelle der Weißen gegeben. Ihre Entscheidung, hauptsächlich Tabak anzubauen, zahlte sich bisher aus. Das Haus stand auf einem Kamm, und von dort aus blickte man über hohe, schroffe Hügel, die in der trockenen Jahreszeit blau waren von Rauch und Dunst, aber jetzt leuchteten sie im Grün des Laubes, in das sich das Grau der Granitblöcke mischte. Die Veranda mit den Pfeilern war
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