Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
mithalten und diente oft als Zielscheibe, besonders für Pater Paul, der ihn nicht mochte. Es gab andere Patres, Lehrer und Seelenheiler, aber der Junge erlebte die Welt der Weißen in Gestalt von Pater Paul, einem kümmerlichen kleinen Mann aus Liverpool, den eine bittere Kindheit geprägt hatte und dessen Ausdrucksweise verriet, dass er die Schwarzen verachtete. Die Kaffern waren Wilde, Tiere, nicht viel besser als Paviane. Er war nicht sparsam mit Schlägen, noch weniger als die anderen Lehrer. Matthew schlug er, weil er starrsinnig war und frech, weil er die Sünde des Stolzes begangen hatte, weil er seine eigene Sprache sprach und weil er ein Shona-Sprichwort ins Englische übersetzte und in einem Aufsatz benutzte: »Streite nicht mit deinem Nachbarn, wenn er stärker ist als du.«
    Pater Paul sah eine große Verantwortung darin, seine Schüler aus dieser Rückständigkeit zu befreien. Matthew verabscheute alles an Pater Paul: Sein Geruch ekelte ihn an, er schwitzte stark, wusch sich nicht genug, und seine schwarzen Gewänder verströmten einen sauren Tiergeruch. Matthew hasste die rötlichen Haare, die ihm aus Ohren und Nasenlöchern und auf den dünnen, knochigen Handrücken wuchsen. Die körperliche Abneigung des Jungen war manchmal so stark, dass die schiere Mordlust in ihm aufwallte und er sie zitternd und mit brennenden Augen zurückhielt.
    Er war ein stiller Junge. Zuerst las er religiöse Bücher, und dann kam ein Schüler von einer anderen Jesuitenmission in Klausur, und Matthew geriet in den Bann dieser überschäumend lustigen Persönlichkeit und – mehr noch – seiner Ansichten. Dieser Junge war älter als er, und er war politisch auf die unentwickelte Art dieser Zeit – lange vor dem Erwachen nationaler Bewegungen. Er gab Matthew schwarze Autoren aus Amerika zu lesen, Richard Wright, Ralph Ellison, James Baldwin, und Schriften einer schwarzen religiösen Sekte, die dafür eintrat, alle Weißen als Nachkommen des Teufels umzubringen. Matthew, immer noch hochbegabt und immer noch still, ließ Pater Paul hinter sich und ging aufs College, und dort hieß es viel später, als er zum politischen Führer geworden war, er sei ein »stiller, aufmerksamer, gescheiter junger Mann, ein Asket, der immer politische Bücher liest, jedoch keine Freunde findet – ein Einzelgänger«.
    Als die nationalen Bewegungen sich explosionsartig erhoben, dauerte es nicht lange, und Matthew fand seinen Platz als Anführer der Gruppe an seinem Ort. Da es ihm nicht leicht fiel, sich an Streit und an Diskussionen zu beteiligen, weil er oft abseitsstand und sich ehrlich danach sehnte, so unbeschwert und umgänglich wie die anderen zu sein, erwarb er sich den Ruf, über ein kühles Urteilsvermögen und politischen Geist zu verfügen, und natürlich über Wissen, weil er so viel gelesen hatte. Dann wurde er nach einem hässlichen kleinen Gerangel um die Macht Führer der Partei. Der Zweck heiligt die Mittel – sein Lieblingssprichwort. Der Befreiungskrieg begann, und er führte eine der aufständischen Armeen an. Er machte alle möglichen Versprechungen, wie Politiker es tun, und den meisten Schaden richtete später die Zusicherung an, dass jeder Schwarze in diesem Land genügend Grund für eine Farm bekommen würde. Kleinere Absurditäten wie die, es sei eine Teufelei der Weißen, die Rinder zur Desinfektion zu baden, und man katzbuckle vor den Vorurteilen der Weißen, wenn man die Felder gegen die Erosion begrenze, waren Nichtigkeiten im Vergleich zu diesem Ur-Betrug: dass es Land für alle geben würde. Aber damals wusste er noch nicht, dass er einmal politischer Führer des ganzen Landes werden sollte. Als bei der Befreiung seine Partei die Regierung übernahm, fiel es ihm insgeheim schwer zu glauben, dass man ihn den anderen, charismatischeren Kandidaten vorziehen würde, die sich um die Macht bewarben: Er glaubte nicht, dass man ihn mögen konnte. Respektieren … fürchten … oh ja, das brauchte er, das brauchte der streunende Hund und würde es für den Rest seines Lebens brauchen. Als er zum Marxismus bekehrt worden war – wieder von einer starken, überzeugenden Persönlichkeit –, schaute er sich bei anderen kommunistischen Führern den rhetorisch-phrasenhaften Stil ihrer Reden ab und übernahm ihn. Er bewunderte starke und brutale Führer bis in sein tiefstes Wesen. Als er dann Oberhaupt einer Nation war, reiste er ständig herum, wie Führer es tun, war immer in Amerika oder Äthiopien oder Ghana oder

Weitere Kostenlose Bücher