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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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dem Ziegelfußboden der Veranda zusammen, legte den Kopf an den dünnen Pfeiler und schluchzte. Es war früh, und Rebecca war noch nicht in der Küche. Sylvia setzte sich neben den Jungen und sagte nichts, war einfach da. Und dort fand ein paar Minuten später Pater McGuire die beiden, als er hinauskam, um die frühe Morgenfrische zu kosten.
    »Was soll denn das jetzt? Ich habe dir gesagt, dass du es Doktor Sylvia nicht sagen sollst.«
    »Ich schäme mich aber. Und bitte sagen Sie ihr, dass sie mir verzeihen soll.«
    »Wo bist du die letzten drei Tage gewesen?«
    »Ich habe Angst. Ich habe mich im Busch versteckt.«
    Das erklärte, warum er zitterte – er fror, weil er Hunger hatte: Im Osten stieg schon die Hitze auf.
    »Geh in die Küche, mach dir einen schönen, starken Tee mit viel Milch und Zucker und nimm dir ein Marmeladenbrot.«
    »Ja, Pater. Es tut mir sehr leid, Pater.«
    Aaron ging hinein; er hatte es nicht eilig, zu seiner belebenden Mahlzeit zu kommen, obwohl er sich sicher verzweifelt danach sehnte. Im Gehen sah er über die Schulter Sylvia an.
    »Also, Pater?«
    »Er hat Ihr kleines Foto in dem hübschen Silberrahmen gestohlen.«
    »Aber …«
    »Nein, Sylvia, Sie dürfen es ihm jetzt nicht schenken. Es steht wieder auf Ihrem Tisch. Er hat gesagt, dass ihm das Gesicht der alten Frau gefällt. Er wollte es anschauen. Ich glaube, er hat keine Vorstellung vom Wert des Silbers.«
    »Dann ist das damit erledigt.«
    »Aber ich habe ihn geschlagen, und zwar so fest, dass er blutete. Der alte Mann hier ist nicht besonders weise und gut.« Die Sonne war aufgegangen, heiß und gelb. Eine Zikade fing an zu zirpen, dann noch eine, und eine Taube begann mit ihrer Klage. »Jetzt muss ich sicher länger im Fegefeuer bleiben.«
    »Haben Sie Ihre Vitamintabletten genommen?«
    »Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass die Leute hier ganz genau wissen, dass man die Kinder verwöhnt, wenn man sparsam mit Schlägen ist. Aber – das ist keine Entschuldigung. Wie wäre es damit: Ich soll Aaron beibringen, wie man ein Mann Gottes wird? Und da darf man nicht zulassen, dass er stiehlt.«
    »Sie brauchen Vitamin B, Pater. Für Ihre Nerven. Ich habe Ihnen welches aus London mitgebracht.«
    Aus der Küche drangen abwechselnd Stimmen, Rebeccas, Aarons. Der Priester rief: »Rebecca, Aaron muss etwas zu essen haben.« Die Stimmen verstummten. »Es wird heiß, gehen wir hinein.« Er ging voraus, sie folgte ihm, und Rebecca stellte das Tablett mit dem Morgentee auf den Tisch.
    »Er hat das ganze Brot gegessen, das ich gestern gebacken habe.«
    »Dann müssen Sie noch welches backen, Rebecca.«
    »Ja, Pater.« Sie zögerte. »Ich glaube, er wollte das Bild zurückbringen. Er wollte es anschauen, während Sylvia weg war.«
    »Ich weiß. Ich habe ihn zu sehr geschlagen.«
    »O.k.«
    »Ja.«
    »Sylvia, wer ist die alte Dame?«, fragte Rebecca. »Sie hat ein schönes Gesicht.«
    »Julia, sie hieß Julia. Sie ist tot. Sie war meine … ich glaube, sie hat mir das Leben gerettet, als ich klein war.«
    »O.k.«
     
    Ein Mann ist vielleicht eher asketisch, weil es seinem Temperament entspricht, und weniger, weil er sich entschieden hat, das Fleisch zu strafen. Der politische Führer gehörte kaum zu denen, die ihr Leben betrachten, um ihren Charakter zu verbessern, denn er hatte das Gefühl, dass es schon eine Garantie für das Himmelreich war, von den Jesuiten aufgenommen worden zu sein. Und als er darauf aufmerksam wurde, dass Schlichtheit offenbar etwas Gutes war, erinnerte er sich an seine frühe Kindheit, in der Lebensmittel und alles andere oft knapp gewesen waren. In manchen Teilen der Welt erwirbt man die Tugenden der Enthaltsamkeit ganz leicht. Sein Vater arbeitete als Mädchen für alles in einer Jesuitenmission und war oft betrunken. Seine Mutter war eine stille Frau und meistens krank, und er war das einzige Kind. Wenn sein Vater betrunken war, schlug er ihn manchmal, und seine Mutter wurde geschlagen, weil sie nicht mehr Kinder bekommen konnte. Er war noch keine zehn Jahre alt, als er sich seinem Vater in den Weg stellte, um seine Mutter zu schützen, und die Schläge, die für sie bestimmt waren, trafen seine Arme und Beine und hinterließen Narben.
    Den Patres fiel auf, was für ein gescheiter kleiner Junge er war, und so wurde er für den höheren Bildungsweg ausgewählt. Weil er dünn war wie ein streunender Hund – wie Pater Paul sagte –, klein und körperlich ungeschickt, konnte er bei den Spielen nicht

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