Ein süßer Traum (German Edition)
und Julia war nicht überrascht. Der Krieg hatte ihm schwer zugesetzt. Er hatte immer lange gearbeitet und abends Arbeit mit nach Hause gebracht. Sie wusste, dass er in allerhand waghalsige Aktionen und gefährliche Unternehmen verwickelt gewesen war und dass er um Männer getrauert hatte, die er einer Gefahr ausgesetzt und manchmal in den Tod geschickt hatte. Im Lauf des Krieges war er ein alter Mann geworden. Und wie sie war auch er durch diesen Krieg gezwungen, den vorangegangenen noch einmal zu erleben: Sie wusste das, denn manchmal erlaubte er sich eine kleine, trockene Bemerkung darüber. Die beiden Menschen, die so hoffnungslos verliebt gewesen waren, hatten in geduldiger Zärtlichkeit zusammengelebt, als hätten sie beschlossen, ihre Erinnerungen wie blaue Flecken vor jeder groben Berührung zu schützen und sogar jede genauere Betrachtung zu vermeiden.
Jetzt, da Julia allein in dem großen Haus war, kam Johnny und sagte, er wolle das Haus haben und sie solle in eine Wohnung ziehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wich und wankte Julia nicht und sagte nein. Sie würde hier wohnen, und sie erwartete nicht, dass Johnny oder jemand anders das verstand. Ihr eigenes Zuhause, das Haus der von Arnes, hatte sie verloren. Ihr jüngerer Bruder war im Zweiten Weltkrieg umgekommen. Das Haus hatte man verkauft, und der Erlös war an sie gegangen. Dieses Haus, in dem sie zunächst nicht hatte wohnen wollen, war jetzt ihr Zuhause, die einzige Verbindung zu jener Julia, die ein Zuhause hatte, die glaubte, eines zu haben, die von einem Ort bestimmt wurde, an dem es Erinnerungen gab. Sie war Julia Lennox, und das war ihr Zuhause.
»Du bist egoistisch und habgierig wie deine ganze Klasse«, sagte Johnny.
»Du und Frances, ihr könnt kommen und hier wohnen, aber ich bleibe hier.«
»Herzlichen Dank, Mutti, aber das können wir nicht annehmen.«
»Warum Mutti? Als du ein Kind warst, hast du mich nie so genannt.«
»Versuchst du die Tatsache zu verbergen, dass du Deutsche bist, Mutti?«
»Nein, ich glaube nicht, dass ich das tue.«
»Ich aber. Heuchlerisch. Genau das erwarten wir von Leuten wie dir.«
Er war wirklich wütend. Sein Vater hatte ihm nichts hinterlassen, es war alles an Julia gegangen. Er hatte vorgehabt, in diesem Haus zu wohnen und es mit Genossen zu bevölkern, die ein Zuhause brauchten. Nach dem Krieg waren alle arm und lebten von der Hand in den Mund, und er lebte von dem, was die Arbeit für die Partei einbrachte, die manchmal illegal war. Johnny war auch wütend auf Frances gewesen, weil sie von Julia keine finanzielle Unterstützung hatte annehmen wollen. Als Frances gesagt hatte: »Aber, Johnny, das verstehe ich nicht, wie kannst du denn Geld vom Klassenfeind nehmen?«, hatte Johnny sie geschlagen, das einzige Mal in ihrem Leben. Sie hatte zurückgeschlagen, noch fester. Sie hatte ihre Frage nicht spöttisch oder kritisch gemeint, sie hatte nur gewollt, dass er es ihr erklärte.
Julia war wohlhabend, aber nicht reich. Ihre Mittel reichten aus, um das Schulgeld für Andrew und Colin zu bezahlen, aber sie hätte einen Teil des Hauses vermietet, wenn Frances nicht eingezogen wäre. Jetzt sparte sie auf eine Weise, die Frances lächerlich erschienen wäre, hätte sie davon gewusst. Julia kaufte keine neuen Kleider. Sie entließ die Haushälterin, die im Souterrain gewohnt hatte, begnügte sich mit einer Zugehfrau, die zweimal wöchentlich kam, und tat einen großen Teil ihrer Hausarbeit selbst. (Julia musste diese Frau, Mrs. Philby, locken und umschmeicheln und beschenken, damit sie weiterarbeitete, als Frances und ihre ungezogenen Rangen kamen.) Sie kaufte ihre Lebensmittel nicht mehr bei Fortnum and Mason, sondern entdeckte jetzt, wo Philip tot war, dass sie sehr genügsam war. Tatsächlich hatte der Lebensstandard, den man von einer Frau erwartete, die mit einem Beamten des Foreign Office verheiratet war, nie ihren eigenen Bedürfnissen entsprochen.
Es war für Julia eine Erleichterung, als Frances einzog und das ganze Haus bis auf Julias Obergeschoss übernahm. Sie mochte Frances immer noch nicht, die es anscheinend darauf anlegte, sie zu schockieren, aber sie liebte die Jungen und hatte vor, sie vor ihren Eltern zu schützen. In Wirklichkeit hatten sie Angst vor ihr, jedenfalls zu Beginn, aber Julia war sich dessen nicht bewusst. Sie dachte, dass Frances die Kinder von ihr fernhielt, aber stattdessen drängte Frances sie, ihre Großmutter zu besuchen. »Bitte, sie ist so gut zu uns. Und sie würde
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