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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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aus der Küche gestürzt.
    Frances wärmte Suppe auf, Eintopf mit Huhn, schob Knoblauchbrot in die Röhre, machte einen Salat, türmte Obst auf eine Schale, richtete Käse an. Sie dachte an das arme Kind, an Tilly. Am Tag nachdem das Mädchen zu ihnen gekommen war, war Andrew in ihr Arbeitszimmer getreten und hatte gesagt: »Mutter, kann ich Tilly ins Gästezimmer bringen? Sie kann wirklich nicht in meinem Zimmer schlafen, auch wenn sie das sicher gerne hätte.«
    Das hatte Frances erwartet: Auf ihrer Etage gab es in Wirklichkeit vier Zimmer, ihr Schlafzimmer, ihr Arbeitszimmer, ein Wohnzimmer und ein kleines Zimmer, das ein Gästezimmer gewesen war, als Julia das Haus geführt hatte. Für Frances gehörte diese Etage ihr, sie war ein sicherer Ort, an dem sie befreit war von allem Druck, von allen Menschen. Jetzt sollten Tilly und ihre Krankheit auf der anderen Seite eines kleinen Treppenabsatzes Einzug halten. Und das Bad … »Also gut, Andrew. Aber ich kann mich nicht um sie kümmern. Nicht so, wie es nötig wäre.«
    »Nein. Ich kümmere mich um sie. Ich räume auch das Zimmer für sie auf.« Ehe er sich umdrehte, um die Treppe hinaufzurennen, sagte er leise und eindringlich: »Sie ist wirklich schlecht dran.«
    »Ja, das weiß ich.«
    »Sie hat Angst, dass wir sie in die Klapsmühle stecken.«
    »Natürlich nicht, sie ist doch nicht verrückt.«
    »Nein«, sagte er mit einem verzagten Lächeln, das mehr von einer Bitte hatte, als er wusste. »Aber ich vielleicht?«
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie hörte, wie Andrew das Mädchen aus seinem Zimmer nach unten brachte und wie die beiden in das Gästezimmer gingen. Stille. Sie wusste, was vorging. Das Mädchen lag zusammengekrümmt auf dem Bett oder auf dem Fußboden, und Andrew wiegte sie, tröstete sie, sang ihr sogar etwas vor – sie hatte gehört, dass er das tat.
    An diesem Morgen hatte sie folgende Szene beobachtet: Sie bereitete das Essen für den Abend vor, und Andrew saß mit Tilly am Tisch. Das Mädchen war in ein Babytuch gewickelt, das sie in einer Truhe gefunden und mit Beschlag belegt hatte. Vor ihr stand eine Schüssel mit Milch und Cornflakes, und eine stand vor Andrew. Er spielte das Kinderfütterspiel. »Einen für Andrew … jetzt einen für Tilly … einen für Andrew …«
    Bei »einen für Tilly« machte sie den Mund auf, während die riesigen, gequälten blauen Augen Andrew anstarrten. Anscheinend wusste sie nicht, wie man blinzelt. Andrew schob den Löffel hinein und kippte ihn, und sie saß mit geschlossenem Mund da, ohne zu schlucken. Andrew zwang sich, seinen Bissen hinunterzuschlucken, und begann von vorn. »Einen für Tilly … einen für Andrew …« Winzige Essensmengen gelangten in Tillys Mund, aber wenigstens Andrew bekam etwas herunter.
    Andrew sagte zu ihr: »Tilly isst nichts. Nein, nein, es ist viel schlimmer als bei mir. Sie isst gar nichts.«
    Das war, bevor Magersucht zu einem Begriff wurde, wie Sex und Aids.
    »Warum denn nicht?«, fragte sie. »Weißt du das?« Das sollte heißen: Bitte sag mir, warum es dir so schwer fällt, etwas zu essen.
    »In ihrem Fall würde ich sagen, es liegt an ihrer Mutter.«
    »Und in deinem Fall nicht?«
    »Nein, ich würde sagen, dass es in meinem Fall an meinem Vater liegt.« Die humorvolle Herablassung, die gewinnende Art dieser Persönlichkeit, die Eton erzeugt hatte, schienen in diesem Moment von seinem wirklichen Ich abzufallen wie eine Reihe grotesker Posen, wie verrutschte Masken. Sein Blick war starr, düster, besorgt und so flehentlich.
    »Was machen wir bloß?«, fragte Frances so verzweifelt, wie sie war.
    »Einfach abwarten, ein bisschen warten, weiter nichts, es kommt schon wieder in Ordnung.«
    Als die »Kinder« – sie musste wirklich aufhören, diesen Ausdruck zu benutzen – die Treppe herunterströmten, um sich an den Tisch zu setzen und auf das Essen zu warten, war Johnny nicht dabei. Alle saßen da und hörten zu, wie oben im Haus gestritten wurde. Geschrei, Verwünschungen – die Worte konnte man nicht verstehen.
    Andrew sagte: »Er will, dass Julia in seiner Wohnung wohnt und sich um Phyllida kümmert, während er in Kuba ist.«
    Alle schauten Frances an, weil sie sehen wollten, wie sie reagierte. Sie lachte. »Oh mein Gott«, sagte sie. »Er ist wirklich unmöglich.«
    Jetzt tauschten sie Blicke aus – missbilligend. Alle, das heißt alle bis auf Andrew. Sie bewunderten ihn und fanden, dass Frances bitter war. Andrew sagte ernst zu ihnen: »Das geht einfach

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