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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Geld aushelfen.« Ein Umschlag tauchte aus ihrer Handtasche auf.
    »Oh nein, das würde Johnny ganz bestimmt nicht gefallen. Er würde nie Geld nehmen von …«
    »Sie stellen sicher noch fest, dass er das kann und dass er das tun wird.«
    »Oh nein, nein, Julia, bitte nicht.«
    »Also gut, auf Wiedersehen.«
    Julia bekam Frances nicht mehr zu Gesicht, bis Johnny aus dem Krieg zurückgekehrt war und Philip, der damals schon krank war und bald sterben würde, sich Sorgen um Frances und die Kinder machte. In Erinnerung an diesen Besuch protestierte Julia; sie sei sicher, dass Frances sie nicht sehen wolle, aber Philip sagte: »Bitte, Julia. Damit mein Geist Ruhe hat.«
    Wieder ging Julia zu der Wohnung in Notting Hill, die sie bestimmt ausgesucht hatten, weil die Gegend so schäbig und hässlich war. Inzwischen gab es zwei Kinder. Neben dem einen, das sie schon gesehen hatte, Andrew, einem lauten und anstrengenden Kleinkind, hatten sie noch ein Baby, Colin. Wieder stillte Frances. Sie war füllig, unförmig, schlampig, und die Wohnung war ein Gesundheitsrisiko, da war Julia sicher. An der Wand stand ein Fliegenschrank mit Lebensmitteln, und darin konnte man eine Flasche Milch und etwas Käse erkennen. Das Drahtnetz vor dem Schrank war angestrichen, die Farbe war verklumpt: Deswegen konnte die Luft nicht richtig zirkulieren. Babykleidung hing auf zerbrechlichen hölzernen Gestellen, die offenbar bald zusammenbrechen würden. Nein, sagte Frances mit einer Stimme, die kalt war vor Feindseligkeit und Kritik. Nein, sie wolle kein Geld, nein, danke.
    Julia stand in einer unbewusst flehentlichen Haltung da, ihre Hände zitterten, und in ihren Augen standen Tränen.
    »Aber, Frances, denken Sie doch an die Kinder.«
    Es war, als hätte Julia absichtlich Säure auf eine schon wunde Stelle gestrichen. Oh ja, Frances dachte oft genug daran, wie ihre eigenen Eltern sie sehen mussten und wie sie mit den Kindern lebte, ganz zu schweigen von Johnnys Eltern. Sie sagte mit einer Stimme, die hart war vor Zorn: »Mir kommt es so vor, als würde ich nie an etwas anderes denken als an die Kinder.«
    Ihr Ton sagte:
Wie kannst du es wagen!
    »Bitte lassen Sie sich doch helfen, bitte – Johnny ist so verbohrt, das ist er schon immer gewesen, und es ist den Kindern gegenüber nicht fair.«
    Das Problem war, auch Frances fand Johnny inzwischen uneingeschränkt verbohrt. Die letzten Reste der Illusion hatten sich verflüchtigt und als Rückstand eine unauflösliche Verzweiflung hinterlassen, über ihn, über die Genossen, die Revolution, über Stalin und Krethi und Plethi und alle. Aber hier stand nicht Johnny in Frage, sondern sie selbst, ihr kleiner, bedrohter Sinn für Identität und Unabhängigkeit. Deswegen traf Julias
Denken Sie doch an die Kinder
wie ein vergiftetes Geschoss. Was hatte sie, Frances, für ein Recht, um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen, um ihr eigenes Ich, auf Kosten … aber sie litten nicht, nein. Sie wusste, dass sie nicht litten.
    Julia ging, erstattete Philip Bericht und versuchte, nicht an diese Zimmer in Notting Hill zu denken.
    Als Julia später hörte, dass Frances angefangen hatte, in einem Theater zu arbeiten, dachte Julia: In einem Theater! Natürlich, wo denn sonst! Dann spielte Frances, und Julia dachte: Spielt sie jetzt die Dienstbotenrollen?
    Sie ging ins Theater, setzte sich ganz nach hinten, wo man sie, wie sie hoffte, nicht erkennen konnte, und sah Frances in einer kleinen Rolle in einer netten kleinen Komödie. Frances war dünner geworden, aber immer noch kräftig, und ihr blondes Haar lag in Kräuselwellen. Sie spielte eine Hotelbesitzerin in Brighton. Julia sah nichts mehr von dem kichernden Vorkriegsmädchen mit der engen Uniform, und sie spielte die Rolle ganz gut, und Julia fühlte sich erleichtert. Frances wusste, dass Julia gekommen war, um sie zu sehen, denn das Theater war klein, und Julia trug einen ihrer unnachahmlichen Hüte mit Schleier, und ihre behandschuhten Hände lagen in ihrem Schoß. Keine andere Frau im Publikum trug einen Hut. Diese Handschuhe, ach, diese Handschuhe, zu komisch.
    Den ganzen Krieg hindurch, besonders in schlimmen Augenblicken, hatte Philip sich an einen ganz bestimmten kleinen Handschuh aus Schweizer Musselin erinnert. Diese Punkte, weiß auf weiß, und die winzige Rüsche am Handgelenk waren für ihn wie eine zarte Frivolität, die über sich selbst lacht, und wie ein Versprechen, dass die Zivilisation wiederkehren wird.
    Bald starb Philip an einem Herzinfarkt,

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