Ein süßer Traum (German Edition)
sich so darüber freuen.« »Ach,
nein
, das ist zu viel verlangt, muss das denn sein?«
An dem Tag, als Frances zu der Zeitung ging, um ihre Stelle anzutreten, wusste sie, wie recht sie gehabt hatte, das Theater vorzuziehen. Als Freiberuflerin hatte sie wenig Erfahrung mit Institutionen, und ihr war nicht nach einem gemeinschaftlichen Arbeitsleben. Sobald sie den Fuß in das Gebäude gesetzt hatte, in dem der
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untergebracht war, spürte sie die Atmosphäre: Es war eindeutig ein
esprit de corps
. Die ehrwürdige Geschichte des
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reichte bis in das 19 . Jahrhundert zurück, und man war darauf bedacht, sie fortzuschreiben: die Geschichte des Kampfes für alle möglichen guten Zwecke, so wurde es allgemein empfunden, und ganz besonders von denjenigen, die dort arbeiteten. Diese Zeit, die sechziger Jahre, konnten sich mit jeder großen Zeit der Vergangenheit messen. Frances wurde von einer Julie Hackett in der Gemeinde willkommen geheißen. Sie war eine weiche, um nicht zu sagen weibliche Frau mit kräftigem schwarzem Wuschelhaar, das hier und da mit allerlei Kämmen und Nadeln befestigt war, eine ausgesprochen unmodische Gestalt, denn Mode war für sie eine Versklavung der Frauen. Sie beobachtete alles, was sie umgab, stets bereit, tatsächliche und vermutete Fehler zu korrigieren. Männer kritisierte sie in jedem Satz und hielt es wie die meisten Ideologen für selbstverständlich, dass Frances in allem ihrer Meinung war. Länger schon hatte sie Frances im Auge, hatte hier und da Artikel von ihr gesehen, auch im
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, und ein Artikel hatte sie dazu bewogen, sie einzustellen. Es war ein satirischer, aber wohlwollender Beitrag über die Carnaby Street, die auf dem Weg war, ein Symbol für das modische Großbritannien zu werden. Sie zog nicht nur junge Leute aus aller Welt an, sondern auch solche, die im Herzen jung geblieben waren. Frances hatte geschrieben, dass offenbar alle an einer Art kollektiven Halluzination litten, denn die Straße sei schmuddelig und schäbig und die Kleider seien zwar ganz nett – manche zumindest –, aber keineswegs besser als in anderen Straßen, die nicht mit den magischen Silben
Carnaby
aufwarten könnten. Ketzerei! Eine mutige Ketzerei, urteilte Julie Hackett und erkannte in Frances eine verwandte Seele.
Man zeigte Frances ein Büro, in dem eine Sekretärin Briefe an Tante Vera sortierte und auf Haufen legte, denn auch für die übelsten Zwangslagen des menschlichen Lebens musste es leicht erkennbare Kategorien geben: Mein Mann ist untreu, Alkoholiker, schlägt mich, gibt mir nicht genügend Geld, verlässt mich wegen seiner Sekretärin, ist lieber mit seinen Kumpels in der Kneipe als bei mir. Mein Sohn ist Alkoholiker, nimmt Drogen, hat ein Mädchen geschwängert, will nicht von zu Hause ausziehen, führt ein wüstes Leben in London, verdient Geld und will nichts zum Haushalt beitragen. Meine Tochter … Renten, Beihilfen, die Bürokratie, medizinische Probleme … Ach ja, die beantwortete ein Arzt. Um die gewöhnlicheren Briefe kümmerte sich die Sekretärin, die mit Tante Vera unterschrieb, und es war ein florierender neuer Zweig des
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. Frances sollte die Briefe durchsehen und ein Thema oder ein Problem finden, das herausstach, und dann einen ernsthaften Artikel daraus machen, einen langen, der einen prominenten Platz in der Zeitung bekam. Recherchieren und ihre Artikel schreiben konnte Frances zu Hause. Sie würde beim
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sein, aber nicht im
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, und sie war dankbar dafür.
Als sie von der Zeitung nach Hause kam und aus der U-Bahn stieg, kaufte sie Lebensmittel ein und ging bepackt den Hügel hinunter.
Julia stand oben an ihrem Fenster und schaute hinab, und sie sah Frances kommen. Dieser schicke Mantel war doch schon eine Verbesserung, nicht der übliche Dufflecoat: Vielleicht war damit zu rechnen, dass sie einmal etwas anderes trug als diese ewigen Jeans und Pullover? Ihr Gang war schwerfällig, und Julia musste an einen Esel mit Tragekörben denken. Kurz vor dem Haus blieb sie stehen, und Julia konnte sehen, dass Frances beim Friseur gewesen war; das helle Haar fiel gerade wie Stroh von einem Scheitel herab, wie es Mode war.
Aus einigen Häusern, an denen sie vorbeigekommen war, dröhnte und hämmerte Musik so laut wie ein zorniges Herz. Julia hatte erklärt, sie werde laute Musik nicht dulden, sie könne das nicht ertragen, also war die Musik zu Hause leise, wenn welche gespielt wurde. Aus Andrews Zimmer drangen normalerweise
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