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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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lagen. Frances legte ein Stück Stoff über die ruhende Brust, und Julia hätte schwören können, dass es eine Windel war.
    Die Frauen starrten einander voller Abneigung an.
    Julia setzte sich nicht. Es gab einen Stuhl, aber auf dem Sitz waren verdächtige Flecken. Sie hätte sich auf das Bett setzen können, das zerwühlt war, aber sie machte sich nicht die Mühe. Sie sagte: »Johnny hat geschrieben und mich gebeten, einmal nachzusehen, wie es Ihnen geht.«
    Diese kühle, helle, beinahe schleppende Stimme war nach einer Skala moduliert, die nur Julia kannte, und die junge Frau starrte sie wieder an. Dann lachte sie.
    »Es geht mir so, wie Sie sehen, Julia«, sagte Frances.
    Panik stieg in Julia auf. Sie fand es schrecklich hier, der Gipfel der Verkommenheit. Das Haus, in dem sie und Philip Johnny zu der Zeit seines Missgeschicks mit dem Spanischen Bürgerkrieg angetroffen hatten, war schon ärmlich gewesen, mit dünnen Wänden, ein Provisorium, aber es war sauber gewesen, und die Vermieterin Mary gehörte zu den anständigen Frauen. Hier hatte Julia das Gefühl, in einen Albtraum geraten zu sein. Diese schamlose junge Frau dort, halb nackt, mit ihren großen, triefenden Brüsten, das laute Schmatzen des Babys, ein schwacher Geruch nach Erbrochenem oder nach Windeln … Julia spürte, dass Frances sie ausgesprochen brutal dazu zwang, einen unsauberen, unschicklichen Lebensquell zu betrachten, den sie nie hatte zur Kenntnis nehmen müssen. Ihr eigenes Baby hatte man ihr als frisch gewaschenes Bündel präsentiert, nachdem die Amme es gefüttert hatte. Julia hatte sich geweigert zu stillen; zu nah am Tier, war ihr Gefühl, aber das wagte sie nicht zu sagen. Ärzte und Amme waren taktvoll übereingekommen, dass sie nicht stillen konnte … ihre Gesundheit … Julia hatte oft mit dem kleinen Jungen gespielt, wenn er mit seinem Spielzeug in den Salon kam, und sie hatte sich sogar zu ihm auf den Boden gesetzt und eine Spielstunde genossen, die das Kindermädchen auf die Minute abmaß. Sie erinnerte sich an den Geruch von Seife und Babypuder. Sie erinnerte sich, dass sie so gerne an Jolyons kleinem Kopf geschnuppert hatte …
    Frances dachte: Es ist unglaublich.
Sie
ist unglaublich, und hätte beinahe vor Hohn schallend gelacht.
    Julia stand da, mitten im Zimmer, in ihrem gepflegten grauen Wollcrêpe-Kostüm, das keine Knitterfalte und keine Beule hatte. Es war zugeknöpft bis zum Hals, wo ein Seidenschal für einen Hauch von Mauve sorgte. Ihre Hände steckten in taubengrauen Glacéhandschuhen, und obwohl sie vor den ungeputzten Oberflächen um sie herum gänzlich geschützt waren, machten sie aus Abwehr, aus mäkliger Missbilligung ängstliche kleine Bewegungen. Ihre Schuhe waren wie glänzende Amseln, und die Messingspangen daran kamen Frances wie Schlösser vor, als würden sie dafür sorgen, dass die Füße nicht wegfliegen konnten oder auch nur ein paar sittsame Tanzschritte ausprobieren. Ihr grauer Hut war mit einem kleinen Schleier umzäunt, der ihren entsetzten Blick nicht verbarg, und auch der wurde von einer Metallspange gehalten. Sie war eine Frau in einem Käfig, und für Frances, die von Einsamkeit, Armut und Angst schier erdrückt wurde, war es wie eine absichtliche spöttische Bemerkung, wie eine Beleidigung, dass Julia in diesem Zimmer erschien, das sie verabscheute und aus dem sie nur fliehen wollte.
    »Was soll ich Jolyon sagen?«
    »Wem? Ach ja. Aber …« Und jetzt richtete Frances sich energisch auf, während sie mit einer Hand den Kopf des Babys umschloss und mit der anderen den Lappen über ihre entblößte Brust hielt: »Sie erzählen mir doch nicht, dass Johnny Sie hergeschickt hat?«
    »Doch, ja, das hat er.«
    Jetzt hatten die Frauen etwas gemeinsam; es war Skepsis, und ihre Blicke trafen sich wirklich, mit einer Frage. Als Julia den Brief gelesen hatte, in dem ihr befohlen wurde, die Ehefrau zu besuchen, hatte sie zu Philip gesagt: »Aber ich dachte, er hasst uns? Wenn wir nicht gut genug sind, um zu sehen, wie er heiratet, warum beordert er mich dann zu Frances?«
    Philip antwortete ziemlich trocken, aber auch abwesend, denn wie immer war er in seine Pflichten vertieft, die der Krieg ihm abverlangte: »Offensichtlich erwartest du Konsequenz. Das ist gewöhnlich ein Fehler, in meinen Augen.«
    Was Frances anging, so hatte Johnny ihr gegenüber seine Eltern immer Faschisten genannt, Ausbeuter, Reaktionäre, wenn es hochkam. Wie konnte er dann …
    »Frances, ich würde ihnen sehr gerne mit

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