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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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man sich vorstellen konnte, in diesem besonderen Fall »Die Ethik der internationalen Hilfe«, klangen eher wie Kinder, die die Vorzüge von Partys verglichen, die ihre jeweiligen Eltern in letzter Zeit gegeben hatten. Die Leute veranstalteten so viel Lärm, Gelächter und Spaß, dass Sylvia es nicht länger aushielt und gehen wollte. Als sie sich verabschiedete, sagte Andrew, sie müsse zu dem Essen am Abend kommen: »Das ist das große Abschlussessen der Konferenz, und du musst dabei sein.«
    »Ich habe kein Kleid.«
    Er betrachtete sie kurz und unverhohlen, übte Nachsicht und sagte: »Es ist keine Abendkleidung vorgeschrieben, das geht so.«
    Und jetzt musste sie einen Platz finden, an dem sie die Nacht verbringen konnte. Sie war losgefahren, ohne genügend Geld mitzunehmen: Sie war, wie sie jetzt einsah, unorganisiert weggefahren, auf unüberlegte und dumme Weise. Wie durch einen Schleier erinnerte sie sich, dass Pater McGuire das Kommando übernommen hatte. War sie vielleicht ein bisschen krank gewesen? War sie jetzt krank? Sie spürte sich selbst nicht, was immer das heißen mochte, aber wenn sie nicht Doktor Sylvia war, die jeder in ihrem Krankenhaus kannte, wer war sie dann?
    Sie wählte die Nummer von Schwester Molly, die zu Hause war, und bat sie, bei ihr übernachten zu dürfen. Sylvia nahm ein Taxi dorthin, wurde freundlich begrüßt und hörte sich eine Menge gutmütigen Spotts über die Konferenz zur Ethik der internationalen Hilfe und über alle ähnlichen Konferenzen an.
    »Sie reden«, sagte Schwester Molly. »Sie werden dafür bezahlt, an irgendein hübsches Plätzchen zu fahren und unglaublichen Unsinn zu reden.«
    »Ich würde Senga wohl kaum ein hübsches Plätzchen nennen.«
    »Das stimmt, aber sie sind jeden Tag unterwegs und sehen sich die Löwen an und die Giraffen und die süßen kleinen Äffchen, und ich glaube nicht, dass sie merken, dass das Land in der Dürre umkommt.«
    Sylvia erzählte Molly von dem Essen, sagte, sie habe nur dabei, was sie trage. Wie schade, sagte Molly, dass sie vier Kleidergrößen größer trage als Sylvia, die sonst ihr einziges Kleid hätte ausborgen können, aber so werde sie persönlich dafür sorgen, dass das Kostüm gereinigt und bis sechs Uhr zurückgebracht werde. Weil Sylvia diese Annehmlichkeiten der echten Zivilisation vergessen hatte, war sie vielleicht unverhältnismäßig gerührt, und sie zog ihr Kostüm aus, legte sich auf ihr kleines Eisenbett, das genauso war wie das in der Mission, und schlief ein. Schwester Molly blieb mit dem grünen Kostüm über dem Arm eine Weile neben ihr stehen, und ihr kluges und erfahrenes Gesicht strahlte forsches Wohlwollen aus: Immerhin verbrachte sie ihr Leben damit, Menschen und Situationen einzuschätzen, von einem Ende Simlias bis zum anderen. Was sie sah, gefiel ihr nicht. Sie beugte sich tiefer hinab und prüfte den einen oder anderen Zug, die schweißbedeckte Stirn, die trockenen Lippen, das gerötete Gesicht, und hob dann Sylvias Hand, um das Handgelenk zu betrachten, an dem ein starker Puls sichtbar schlug.
    Als Sylvia aufwachte, hing ihr Kostüm frisch gewaschen und gestärkt an der Tür. Auf dem Stuhl lagen eine Auswahl an Unterhosen und ein seidener Unterrock. »Ich bin dafür schon eine Ewigkeit zu fett.« Und ein paar schicke Schuhe. Sylvia wusch sich den Staub aus dem Haar, zog sich an, schlüpfte in die Schuhe, wobei sie hoffte, dass sie mit hohen Absätzen noch gehen konnte, und nahm ein Taxi zum Butler’s. Sie glaubte, dass sie Fieber hatte, aber weil es so unpassend gewesen wäre, jetzt krank zu sein, beschloss sie, dass sie es nicht war.
    Vor dem Butler’s stand die internationale Gruppe, und man plauderte, winkte einander zu, nahm Gespräche wieder auf, die vielleicht in Bogotá oder Benares unterbrochen worden waren. Andrew wartete auf der Treppe auf Sylvia. Mona stand neben ihm in einem rosafarbenen, fließenden Kleid, in dem sie aussah wie eine von diesen besonderen Tulpen mit den gezackten Blättern, die scheinbar aus kristallisiertem Licht geschnitten sind. Sylvia wusste, dass Andrew sich Sorgen machte, wie sie wohl aussah, denn auch wenn keine Abendkleidung vorgeschrieben war, waren doch alle Frauen so schick wie Mona. Aber sein Lächeln sagte: Das ist in Ordnung, und er nahm ihren Arm. Die drei gingen zu der filmreifen, geschmackvollen Treppe, die zu einer Terrasse führte, auf der kleine blühende Bäume und ein Brunnen in der Dämmerung für Frische sorgten. Lichter von drinnen hoben

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