Ein süßer Traum (German Edition)
nicht, was sie tun sollte. Sie erzählte Schwester Molly und den Ärzten von den beiden Jungen, die jetzt keine Kinder mehr waren, sondern Heranwachsende, und sie wusste, dass Clever und Zebedee für eine, die solche Kinder an jedem Tag ihres beruflichen Lebens sah, zukünftige Arbeitslose waren (aber sie würde sich umhören, vielleicht konnte man für sie Arbeit als Bedienstete finden?) und dass die anderen in Gedanken mit Tausenden von Menschen beschäftigt waren, die verhungerten, endlose Reihen armer Opfer, und dass sie ihre Fantasie nur mit Mühe so weit verbiegen und an zwei Unglückliche denken konnten, die davon geträumt hatten, Ärzte zu werden, die aber jetzt … Auch nichts Neues.
Schwester Molly musste achtzig Kilometer über Kwadere hinaus fahren, um die Arbeit wieder aufzunehmen, die durch Sylvias Krankheit unterbrochen worden war. Sie hatte mit dem Priester vereinbart, dass Aaron Sylvia an der Abzweigung abholen sollte. Ihre Klagen über den Papst und die kirchliche männliche Hierarchie wurden vom Anblick sechs großer Getreidesilos an der Straße unterbrochen, deren Inhalt – die letzte Maisernte – ein höherer Minister an ein anderes dürregeplagtes afrikanisches Land verkauft und die Erträge eingesteckt hatte. Sie fuhren durch hungerndes Land; meilenweit in jede Richtung erstreckte sich Busch, der trocken und ausgedörrt war, denn die Regenzeit war überfällig.
»Sein Gewissen möchte ich wirklich nicht haben«, sagte Sylvia, und Schwester Molly sagte, manche Leute hätten scheinbar noch nicht verstanden, dass es Leute gebe, die ohne Gewissen geboren würden. Daraufhin begann Sylvia mit ihrem Monolog über das Dorf bei der Mission, und Schwester Molly hörte zu und sagte: »Ja, so ist es«, und: »Da haben Sie aber wirklich recht.« Bei der Abzweigung wartete Aaron im Wagen der Mission. Schwester Molly sagte zu Sylvia: »Also, das war’s dann. Ich denke, man sieht sich.« Und Sylvia sagte: »Gut. Und ich werde nie vergessen, was Sie für mich getan haben.«
»Vergessen Sie’s.« Und sie fuhr weg und winkte ihr zu, als würde sie eine Tür schließen.
Aaron war lebhaft und beflissen, er stand vor einem neuen Leben: Er wollte zur alten Mission gehen und dort weiterstudieren, um Priester zu werden. Pater McGuire ging weg. Alle gingen weg. Und die Bibliothek? »Ich fürchte, es sind nicht mehr viele Bücher da, denn wissen Sie, wo Tenderai doch tot ist und Rebecca auch und Sie nicht da, wer soll sich darum kümmern?«
»Und Clever und Zebedee?«
Aaron hatte die beiden nie gemocht und sie ihn auch nicht, und er sagte nur: »O.k.«
Er parkte den Wagen unter den Gummibäumen und ging davon. Es war später Nachmittag, das Licht schwand schnell von den goldenen und rosafarbenen Wolken. Auf der anderen Seite des Himmels stand der Halbmond, nicht mehr als ein weißlicher Fleck, und wartete darauf, zu Ehren zu gelangen, wenn die Dunkelheit aufzog.
Als sie auf die Veranda trat, kamen die beiden Jungen angerannt. Sie blieben stehen. Sie starrten sie an. Sylvia wusste nicht, was los war.
Während sie krank gewesen war, hatte sie ihre Sonnenbräune verloren und war weiß geworden wie Milch, und ihr Haar, das man wegen des Fiebers abgeschnitten hatte, stand in flachsgelben Büscheln und Strähnen ab. Sie kannten sie nur mit einem freundlichen und angenehmen braunen Hautton. »Es ist so wunderbar, Sie zu sehen« – und sie stürzten auf sie zu, und sie schloss sie in die Arme. Sie hatten viel weniger Substanz, als sie gewohnt war.
»Gibt euch keiner etwas zu essen?«
»Doch, doch. Doktor Sylvia!« Sie umarmten sie und weinten. Aber sie wusste, dass sie wenig zu essen bekommen hatten. Und die strahlend weißen Hemden waren schmuddelig, weil Rebecca nicht da war, um sie zu waschen. Ihre Blicke sagten durch die Tränen: bitte, bitte.
Pater McGuire kam, fragte, ob sie gegessen hätten, und sie sagten ja. Aber er nahm einen Laib Brot von der Anrichte, und sie rissen ihn entzwei und aßen hungrig, während sie ins Dorf hinuntergingen: Sie würden bei Sonnenaufgang wiederkommen. Sylvia und der Priester setzten sich an ihre Plätze am Tisch, und die einzige Glühbirne ließ ihn erkennen, wie krank sie gewesen war, und sie, dass sie einen alten Mann vor sich hatte.
»Sie werden die frischen Gräber auf dem Hügel sehen, und es gibt neue Waisen. Ich und Pater Thomas – das ist der schwarze Priester in der alten Mission –, wir werden eine Zuflucht für die Aids-Waisen einrichten. Wir werden
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