Ein süßer Traum (German Edition)
mitgenommen. Wir haben gesagt, dass Sie sie bezahlt haben, von Ihrem Geld.«
»Das ist egal.«
»Wir haben ihnen gesagt, dass es Diebstahl ist, es waren Ihre Medikamente.«
»Es ist wirklich egal.«
»Und die Großmütter benutzen das Krankenhaus für die kranken Kinder.«
Überall in Simlia mussten jetzt alte Frauen und manchmal auch alte Männer, deren erwachsene Kinder gestorben waren, die kleinen Kinder ernähren und aufziehen.
»Wie ernähren sie sie?«
»Der neue Rektor sagt, er gibt ihnen zu essen.«
»Aber es sind zu viele, wie will er sie alle ernähren?«
Sie standen auf einer kleinen Erhebung gegenüber dem Haus des Priesters und schauten auf Sylvias Krankenhaus hinab. Drei alte Frauen saßen im Schatten unter den Grasdächern, um sie herum ungefähr zwanzig kleine Kinder. Alt nach den Maßstäben der Dritten Welt: In glücklicheren Ländern würden diese fünfzig Jahre alten Frauen Diät halten und sich Liebhaber suchen.
Unter Joshuas großem Baum lag ein Haufen Lumpen oder etwas, das so aussah wie ein großer Python, vom Schatten gesprenkelt. Sylvia kniete sich neben ihm hin und sagte: »Joshua.« Er rührte sich nicht. Es gibt Menschen, die schon vor ihrem Tod so aussehen, wie sie aussehen werden, wenn sie tot sind: Das Skelett liegt so dicht unter der Haut. Joshuas Gesicht bestand ganz aus Knochen, und die trockene Haut war in die Vertiefungen gesunken. Er schlug die Augen auf und leckte sich mit einer aufgesprungenen Zunge die Lippen, auf denen Schaum klebte.
»Gibt es Wasser?«, fragte Sylvia, und Zebedee rannte zu den alten Frauen, die offenbar protestierten: Warum Wasser an beinahe Tote verschwenden? Aber Zebedee schöpfte mit einer Plastiktasse Wasser aus einem Plastikeimer, der ungeschützt war vor Staub und verwehten Blättern, brachte es zu seinem Vater, kniete und hielt die Tasse an die aufgesprungenen Lippen. Plötzlich erwachte der alte Mann (ein Mann im späten mittleren Alter, nach anderen Maßstäben) zum Leben und trank verzweifelt, und die Sehnen an seinem Hals arbeiteten. Plötzlich schoss eine Hand wie die eines Skeletts hervor und packte Sylvias Handgelenk. Es war, als würde es von einem Reif aus Knochen gehalten. Er konnte sich nicht aufsetzen, aber er hob den Kopf und fing an, etwas zu murmeln, Flüche, wie sie wusste, Verwünschungen, und seine tief eingesunkenen Augen brannten vor Hass.
»Er meint es nicht so«, sagte Clever. »Nein, wirklich nicht«, flehte Zebedee.
Dann murmelte Joshua: »Du nimmst meine Kinder mit. Du musst sie mit nach England nehmen.«
Das feste Armband aus Knochen schmerzte an ihrem Handgelenk. »Johsua, lassen Sie mich los, Sie tun mir weh.«
Sein Griff wurde fester. »Du musst es mir versprechen, jetzt – jetzt, du musst es mir versprechen.« Sein Kopf ragte über seinen beinahe toten Körper hinaus, wie eine Schlange den Kopf hebt, wenn ihr Rückgrat gebrochen ist.
»Joshua, lassen Sie mein Handgelenk los.«
»Du wirst es mir versprechen. Du wirst …« Er hatte den Blick fest auf sie gerichtet und murmelte seine Flüche, und sein Kopf fiel zurück. Aber seine Augen schlossen sich nicht, und auch sein gemurmelter Hass hörte nicht auf.
»Also gut, Joshua, ich verspreche es. Jetzt lassen Sie mich los.«
Sein Griff ließ nicht nach: Außer sich dachte sie, dass er sterben würde, und dann wäre sie mit Handschellen an ein Skelett gefesselt.
»Glauben Sie nicht, was er sagt, Doktor Sylvia«, flüsterte Zebedee. »Er meint nicht, was er sagt«, ergänzte Clever.
»Vielleicht ist es ganz gut, dass ich nicht weiß, was er sagt.«
Die knöcherne Handschelle fiel von ihrem Handgelenk ab. Ihre Hand war taub. Sie hockte neben dem lebendigen Skelett und schüttelte ihre Hand.
»Wer wird sich um ihn kümmern?«
»Die alten Frauen kümmern sich um ihn.«
Sylvia ging zu den Frauen und gab ihnen Geld, fast alles, was sie hatte, behielt aber genug, um zurück nach Senga fahren zu können. Davon konnte man die Kinder einen Monat lang ernähren, vielleicht.
»Und jetzt holt eure Sachen, wir gehen.«
»Jetzt?« Sie wichen vor ihr zurück; das, wonach sie sich gesehnt hatten, war hier, war nahe – und es war eine Trennung von allem, was sie kannten.
»In Senga besorge ich euch Kleider.«
Sie rannten ins Dorf hinunter, und sie ging den Hügel zwischen den Oleandern und dem Bleiwurz hinauf zum Haus, wo alles, was sie mitnehmen würde, schon in ihrer kleinen Reisetasche lag. Zu Rebeccas Nichte sagte sie, sie könne sich ihre Bücher nehmen,
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