Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
von Kanada finanziert, Gott möge es ihnen vergelten, aber, Sylvia, haben Sie mal daran gedacht, dass es vielleicht eine Million Kinder ohne Eltern gibt, wenn das so weitergeht?«
    »Der Schwarze Tod hat ganze Dörfer ausgelöscht. Wenn Luftaufnahmen von England gemacht werden, kann man sehen, wo die Dörfer waren.«
    »Dieses Dorf wird bald nicht mehr da sein. Die Leute gehen weg, weil sie sagen, dass der Ort verflucht ist.«
    »Und sagen Sie ihnen, was sie denken sollten, Pater?«
    »Ja.«
    Das elektrische Licht fiel plötzlich aus. Der Priester steckte ein paar Notkerzen an, und in ihrem Licht aßen sie ihr Abendessen, das Rebeccas Nichte servierte, eine starke, gesunde junge Frau – jetzt jedenfalls –, die gekommen war, um ihrer sterbenden Tante zu helfen; sie würde wieder gehen, wenn der Priester ging.
    »Und ich habe gehört, es gibt endlich einen neuen Rektor?«
    »Ja, aber wissen Sie, Sylvia, die kommen nicht gern an so einen abgelegenen Ort, und der hier hat schon seine Probleme mit dem Trinken gehabt.«
    »Verstehe.«
    »Aber er hat eine große Familie, und er bekommt dieses Haus.«
    Beide wussten, dass es noch mehr zu sagen gab, und schließlich fragte er: »Und was geschieht jetzt mit diesen Jungen?«
    »Ich hätte ihnen keine Hoffnungen machen sollen, und das habe ich getan. Obwohl ich ihnen nie etwas versprochen habe.«
    »Ah, aber die große, wunderbare, reiche Welt da draußen ist doch das Versprechen.«
    »Und was soll ich tun?«
    »Sie müssen sie mit nach London nehmen. In eine richtige Schule schicken. Damit sie lernen, wie man herumdoktert. Gott weiß, dass dieses arme Land seine Ärzte brauchen wird.«
    Sie schwieg.
    »Sylvia, sie sind gesund. Ihr Vater ist gestorben, bevor es Aids gab. Joshuas wirkliche Kinder werden sterben, aber die beiden nicht. Er wartet übrigens auf Sie.«
    »Es wundert mich, dass er noch lebt.«
    »Er lebt nur noch, um Sie zu sehen. Und er ist inzwischen ziemlich verrückt. Darauf müssen Sie vorbereitet sein.«
    Bevor er ihr eine Kerze gab, die sie mit in ihr Zimmer nehmen sollte, hielt er seine hoch, um ihr ins Gesicht zu sehen, und sagte: »Sylvia, ich kenne Sie sehr gut, mein Kind. Ich weiß, dass Sie sich die Schuld an allem geben.«
    »Ja.«
    »Es ist lange her, dass Sie mich um die Beichte gebeten haben, aber ich muss gar nicht hören, was Sie zu sagen haben. In Ihrem Geisteszustand, wenn Sie so schwach sind von der Krankheit, dürfen Sie nicht auf das vertrauen, was Sie über sich denken.«
    »Der Teufel lauert da, wo rote Blutkörperchen fehlen.«
    »Der Teufel lauert da, wo jemand kränkelt – ich hoffe, Sie nehmen Ihre Eisentabletten.«
    »Und ich verlasse mich darauf, dass Sie Ihre nehmen.«
    Sie umarmten sich, beide mussten weinen und wandten sich ab, um in ihre Zimmer zu gehen. Er fuhr früh weg und sagte, er werde sie wahrscheinlich nicht mehr sehen, und er meinte damit, dass er nicht noch einen Abschied durchmachen wollte. Er würde nicht wie Schwester Molly sagen: Man sieht sich.
    Am nächsten Morgen war er fort: Aaron hatte ihn zur Abzweigung gebracht, wo ihn der Wagen der alten Mission abholen sollte.
    Zebedee und Clever warteten bei dem Pfad zum Dorf auf Sylvia. Die Hälfte der Hütten war leer. Ein hungriger Hund schnüffelte im Staub herum. Die Hütte, in der sich Tenderai um die Bücher gekümmert hatte, stand offen, und die Bücher waren fort.
    »Wir haben versucht, uns darum zu kümmern, wir haben es versucht.«
    »Macht nichts.«
    Bevor sie weggefahren war, war das Dorf geschunden gewesen, es war bedroht gewesen, aber es hatte gelebt: Jetzt war sein Geist nicht mehr da. Rebecca war nicht mehr da. In Institutionen und Dörfern, in Krankenhäusern und in Schulen gibt es oft eine Person, die die Seele des Ortes ist, ob es der Hausmeister ist oder der politische Führer oder die Bedienstete eines Priesters. Als Rebecca starb, starb das Dorf.
    Die drei gingen durch den Busch dorthin, wo die Gräber waren, inzwischen beinahe fünfzig, und Rebeccas und das ihres Sohnes Tenderai waren unter den frischesten, zwei Rechtecke aus rotem Staub unter einem großen Baum. Sylvia blieb davor stehen, und als die Jungen ihr Gesicht sahen, kamen sie zu ihr, und sie hielt sie fest, und jetzt weinte sie doch, und ihre Gesichter lagen an ihrem Kopf: Sie waren größer als sie.
    »Und jetzt müssen Sie unseren Vater besuchen.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Bitte seien Sie nicht böse mit uns. Die Polizei ist gekommen und hat die Medikamente und die Bandagen

Weitere Kostenlose Bücher