Ein süßer Traum (German Edition)
nicht. Es ist nicht fair, Julia zu fragen.«
Über das Obergeschoss des Hauses, in dem Julia wohnte, wurde oft gespottet, und Julia wurde »die alte Frau« genannt. Aber seit Andrew zu Hause war und sich mit Julia angefreundet hatte, mussten sie seinem Beispiel folgen.
»Warum soll sie sich denn um Phyllida kümmern?«, fragte Andrew. »Sie hat mit uns alle Hände voll zu tun.«
Eine neue Sicht auf die Lage, die nachdenkliches Schweigen heraufbeschwor.
»Sie mag Phyllida nicht«, sagte Frances, um Andrew zu unterstützen. Und sie hielt zurück: Und mich mag sie auch nicht. Sie hat Johnnys Frauen noch nie gemocht.
»Wer mag sie schon«, sagte Geoffrey, und Frances sah ihn fragend an: Das war ihr neu.
»Phyllida ist heute Nachmittag hier gewesen«, sagte Geoffrey.
»Sie hat dich gesucht«, ergänzte Andrew.
»Hier? Phyllida?«
»Sie ist verrückt«, sagte Rose. »Ich war dabei. Sie ist übergeschnappt. Durchgeknallt.« Und sie kicherte.
»Was wollte sie denn?«, fragte Frances.
»Ich habe sie weggeschickt«, sagte Andrew. »Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht herkommen soll.«
Oben wurden Türen geschlagen, Johnny schrie und kam dann mit großen Schritten die Treppe hinunter, gefolgt von Julias einzigem Wort: »Schwachkopf!«
Kochend vor Wut, trat er in die Küchentür.
»Das alte Miststück«, sagte er. »Faschistenmiststück.«
Die »Kinder« sahen Andrew Rat suchend an. Er war blass und wirkte krank. Laute Stimmen – Streit –, das war zu viel für ihn.
»Das ist zu
viel
«, frohlockte Rose, weil alles so unerfreulich war.
Andrew sagte: »Jetzt regt sich Tilly wieder auf.« Er wollte aufstehen, und weil Frances Angst hatte, dass er es als Vorwand nutzen würde, um nichts zu essen, bat sie ihn: »Bitte setz dich, Andrew.« Er setzte sich, und sie war überrascht, weil er ihr gehorchte.
»Wusstest du, dass deine … dass Phyllida hier war?«, sagte Rose kichernd zu Johnny. Ihr Gesicht war gerötet, und ihre kleinen schwarzen Augen funkelten.
»Was?«
Johnnys Stimme klang scharf, dann sah er Frances kurz an. »Sie war hier?«
Niemand antwortete.
»Ich rede mit ihr«, sagte Johnny.
»Hat sie Eltern?«, fragte Frances. »Sie kann doch nach Hause gehen, solange du in Kuba bist.«
»Sie hasst sie. Aus gutem Grund. Das ist tumber Abschaum.«
Rose hielt sich mit dem Handrücken den Mund zu, um weitere Heiterkeit zu unterdrücken.
Inzwischen sah Frances sich um und stellte fest, wer an diesem Abend da war. Abgesehen von Geoffrey – und natürlich Andrew und Rose – waren Jill und Sophie da, die weinte. Außerdem saß da ein Junge, den sie nicht kannte.
In diesem Moment klingelte das Telefon, und es war noch einmal Colin. »Ich habe mir etwas überlegt«, sagte er. »Ist Sophie da? Sie ist doch sicher ganz durcheinander. Gib sie mir mal.«
Das erinnerte alle daran, warum Sophie so durcheinander war, denn ihr Vater war im letzten Herbst an Krebs gestorben. Abends war sie meistens hier, weil zu Hause ihre Mutter weinte und wollte, dass Sophie mit ihr trauerte. Kennedys Tod würde sie natürlich …
Am Telefon schluchzte Sophie, und sie hörten: »Ach, Colin, danke, oh danke, du verstehst das, Colin, ach, das wusste ich, ach, du kommst, oh danke, danke.«
Sie kam zu ihrem Platz am Tisch zurück und sagte: »Colin nimmt heute Abend den letzten Zug.« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, lange, elegante Hände mit rosa Nägeln in dem Farbton, den die Modeapostel des St. Joseph’s, zu denen sie gehörte, für diese Woche vorgeschrieben hatten. Langes, schimmerndes schwarzes Haar fiel auf den Tisch wie der Ausdruck dessen, dass sie sich niemals lange allein würde grämen müssen.
Rose sagte säuerlich: »Das mit Kennedy tut uns doch allen leid, oder?«
Müsste Jill nicht in der Schule sein? Aber im St. Joseph’s kamen und gingen die Schüler und achteten kaum auf Zeiten, Stundenpläne oder Prüfungen. Wenn die Lehrer ihnen nahelegten, sich disziplinierter zu verhalten, wurden sie manchmal an die Prinzipien erinnert, auf denen die Schule gründete, und die Selbstverwirklichung zählte zu den wichtigsten. Colin war an diesem Morgen zur Schule gefahren und schon wieder auf dem Rückweg. Geoffrey sagte, er werde vielleicht morgen gehen: Ja, er wisse noch, dass er Schulsprecher sei. Hatte Sophie schon »abgebrochen«? Jedenfalls schien sie öfter hier zu sein als in der Schule. Jill hielt sich schon länger mit ihrem Schlafsack unten im Souterrain auf und kam zu den Mahlzeiten nach oben.
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